Konformismus als Journalistentugend
aus der NZZ vom 13. Juni.
Konformismus als neue Journalistentugend
Der Irak-Krieg in der deutschen Nachbearbeitung
Wenn Journalisten besinnlich werden und den Kern
ihrer Berufung bestimmen, dann beschwören sie gern
ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Zeitgeist und
beharren auf ihrem Recht zum Widerspruch gegen die
Mehrheitsmeinung. Im Widerstand gegen populäre
Stimmungen bewährt sich der publizistische
Aufklärer, so will es das zünftige
Selbstverständnis. Deutsche Journalisten haben an
dieser Forderung das Verhalten der US-Medien vor
und während des Irak-Krieges gemessen und für zu
leicht befunden: Die geschlossene «Medienfront»
zwischen New York und Los Angeles wurde vielfach
beklagt, und jüngst fand ein Kritiker in
«Message», dem «Fachblatt für Journalismus»
(Ausgabe 2/2003): «Noch nie hat der amerikanische
Journalismus so gründlich versagt wie jetzt», sind
doch «in den Mainstream-Medien alle einer
Meinung».
Kaum haben wir diese ehrwürdige Botschaft von der
Journalistenpflicht zum Unterscheiden gehört und
wollten sie gern aufs Neue glauben, da sollen wir
wieder umlernen. Der «Journalist», das
Verlautbarungsorgan des Deutschen
Journalistenverbandes, feiert in seiner Mainummer
das Gegenteil und lobt Medien dafür, dass sie
Volkes Stimme nur verstärkt haben und dabei auch
noch perfekt «den Regierungskurs widerspiegelten».
Wie das? Sind Konformismus und Anpassung plötzlich
journalistische Tugenden, ist Widerspruch das
Zeichen ideologischer Borniertheit?
Die Rede ist von der Haltung deutscher Medien zum
Irak-Krieg, die jetzt in der Fachpresse
rückblickend beurteilt wird. Und da gilt auf
einmal genau das, was die Kritiker den US- Medien
vorwerfen, als Vorzug deutscher Sender und
Zeitungen. Stolz wird in «Message» festgehalten,
dass unter den überregionalen Qualitätsblättern
bis auf eine Ausnahme alle jene «Lernprozesse»
durchlaufen haben, die Leitartikler,
Strassenprotestler und Minister zur ganz grossen
Volksgemeinschaft zusammenfügten. Die einzigen
Abweichler sassen in der Redaktion der
Springer-Zeitung «Die Welt», die sich weder von
den Regierungspolitikern noch von den «Kein Blut
für Öl»-Manifestanten davon überzeugen lassen
wollte, dass der wahre Schurke George W. Bush,
nicht aber Saddam Hussein sei.
Als vor ein paar Wochen Peter Voss, der Intendant
des Südwestrundfunks, in der deutschen
Fernsehberichterstattung über den Krieg
«differenzierende Argumente» vermisste und
öffentlich kritisierte, dass «in Hinblick auf das
amerikanische Vorgehen stets die negativste
Interpretationsvariante gewählt» worden sei, hatte
man auf selbstkritische Reaktionen gehofft. Wie
jetzt die Rückblicke in der Fachpresse und in den
Berufsverbänden der Journalisten zeigen, war das
eine Illusion. Statt unpopuläre Distanz zu der von
Peter Voss beschriebenen Grundströmung der
Meinungen zu wahren, lassen sich deutsche
Medienmacher und Medienkritiker lieber wohlig von
ihr tragen. Vielleicht hat ihnen so viel Einklang
mit Volk und Regierung in all den Jahren zuvor
gefehlt hat.
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- Konformismus als Journalistentugend -
Stephan,
13.06.2003, 19:03
- Konformismus als Journalistentugend - Frida, 13.06.2003, 19:19