die humane Behandlung unserer Verwandten
Amira war kaum 16 Jahre alt. Ihr Name bedeutet
Prinzessin. Ein wahrer Hohn wenn man an ihr
Lebensende denkt.
Alles geschah binnen weniger Tage im Höllenkreis
von Gaza. Es begann in der Früh, als sie sich über
Bauch- und Unterleibschmerzen beschwerte. Es
folgte die Visite im nahen Spital. Die Diagnose
ließ keinen Zweifel: Amira war im achten Monat
schwanger. Die Mutter glaubte es nicht und war
verzweifelt. Wegen der Schande. Wegen der
Entehrung der ganzen Familie. Die Polizei verhörte
Amira im Spital. Es ist ein Skandal. Fast ein
Vorzeichen der bevorstehenden Katastrophe. Die
wirkliche Tragödie entwickelt sich nachdem ihr
Geständnis bekannt wird. Geschwängert haben sie
ihre zwei 19 und 21 jährigen Brüder. Eineinhalb
Jahre zwangen sie ihre Schwester zum
Geschlechtsverkehr. Scheinbar ohne Kenntnis der
Mutter und auch des Vaters. Als dieser in Kenntnis
gesetzt wurde, schwörte er die Schande mit Blut
abzuwaschen. Mit dem Blut von Amira.
So beschlossen die Behörden das Mädchen und ihren
Embryo, den sie trug zu beschützen. Sie wurde in
einem Sozial-Zentrum beherbergt und von der
Polizei bewacht. Der Neugeborene kam physisch und
geistig deformiert zur Welt. Ein Unglück im
Unglück, das das Leben von Amira fürchterlich
kompliziert. Ihre Familie verpflichtet sich
schriftlich, das Leben von Amira und des
Neugeborenen zu schützen. Die Mutter umarmt sie
und bringt sie nachhause. Kaum angekommen, erwürgt
sie ihre Tochter mit ihren Händen. Dann ergreift
sie den Neugeborenen und schlägt ihn einige Mal.
Dieser stirbt an Blutverlust.
Die Soziologin Maha Abu Diah erklärte in der
Wochenzeitung Al Majalla: "Die Mutter blieb Geisel
eines starken gesellschaftlichen Drucks, der sie
dazu brachte, ihre Tochter zu töten. Sie ist
zweifach gescheitert. Sie verhinderte nicht die
Schändung ihrer Tochter durch ihre eigenen Söhne
und merkte nicht die Schwangerschaft ihrer Tochter
bis zum achten Monat. Für die gesamte Gesellschaft
ist sie die wirklich Verantwortliche." Eine
Verantwortung, die noch durch diesen Doppelmord
verschärft wird. Man nennt ihn "jerimat
al-sharaf", Ehrendelikt. Die Soziologin stellt
fest: "Die männerchauvinistische und autoritäre
Mentalität der palästinensischen Gesellschaft
führt dazu, die Frau auch dann, wenn sie Opfer
ist, schuldig zu sprechen. Zuerst tötet dich die
Gesellschaft, die dich diffamiert und
diskriminiert. Dann zeigt sich die physische
Liquidierung als die endgültige, schnellste und
einfachste Lösung."
Im letzten Jahr gab es wenigstens 31 Fälle von
Frauen, die dem "Ehrendelikt" zum Opfer gefallen
sind. Mädchen, die von ihrem eigenen Vater getötet
wurden, wie Suraya. Oder von einem enttäuschten
Cousin, der das Mädchen nicht heiraten konnte, wie
im Fall Radwan. Im Kontext der Misere und der
Hoffnungslosigkeit sind die Frauen, die Opfer
einer Schändung wurden, die am wenigsten
verteidigten, die schwächsten. Sie sind die
unglücklichsten in einer Gesellschaft, die zu
lange den Kult des Hasses und der Gewalt
kultiviert hat.