der semitische antisemit? teil 2

..., Donnerstag, 26. Juni 2003, 14:04 (vor 7987 Tagen)

Jürgen Möllemann wirft Michel Friedman vor, dessen
überzogene Antisemitismus-Vorwürfe verursachten
erst Antisemitismus.

Avnery: So formuliert, kann das leicht zu der
Schlußfolgerung führen, die Juden seien selbst
Schuld am Antisemitismus ...

Möllemann zielt nicht auf die Juden, sondern auf
den Mißbrauch des Antisemitismus-Vorwurfes.

Avnery: Ich habe das auch nicht so verstanden, ich
meine nur, diese Formulierung ist gefährlich.

Der Deutsch-Syrer Jamal Karsli warf - damals noch
Abgeordneter der Grünen - der israelischen Armee
während der Operation "Schutzschild" in
Transjordanien vor, "Nazi-Methoden" anzuwenden.
Daraufhin wurde er erstmals des Antisemitismus
geziehen. Zu Recht?

Avnery: Ich lehne jede Funktionalisierung des
Holocaust zu politischen Zwecken unbedingt ab. Man
kann Israel vorwerfen, es führe einen
Kolonialkrieg im Westjordanland, oder man kann es
der Apartheid zeihen, man kann sehr viele schwere
Vorwürfe formulieren. Aber den Vorwurf
"Nazi-Methoden" ins Feld zu führen, ist absurd.
Der Holocaust war etwas geschichtlich
Spezifisches, ihm fielen sechs Millionen Menschen
zum Opfer. Diese Assoziation ist also maßlos
überzogen.

Überzogen oder antisemitisch?

Avnery: Der palästinensische Intellektuelle Edward
Said hat einmal gesagt, ein Araber könne sich
nicht mit Israel auseinandersetzen, wenn er den
Holocaust nicht versteht. Araber haben allerdings
ein verständliches Problem damit, denn der
Holocaust wird in der israelischen Propaganda
gegen die Palästinenser verwendet: Das führt
natürlich leicht zur arabischen Gegenreaktion, den
Holocaust zu verharmlosen oder zu leugnen. Mit
europäischem Antisemitismus hat das allerdings
nichts zu tun.

Das heißt, die deutschen Kritiker spiegeln "ihren"
europäischen Antisemitismus auf den Syrer Karsli,
der tatsächlich "nur" typisch arabische
Ressentiments hat?

Avnery: Ich weiß nicht, ob es im Fall des Herrn
Karsli so ist oder nicht, denn ich kenne ihn
nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Ein Indiz
wäre, daß die Formel, "Israel benutze
´Nazi-Methoden´" sehr häufig in arabischen Ländern
zu hören ist, und Herr Karsli schließlich
syrischer Abstammung ist.

Wären Sie kein Israeli, sondern ein
nicht-jüdischer Deutscher, würden Sie bei Ihren
Ansichten mit dem Vorwurf des Antisemitismus, des
Rechtspopulismus und braunen Gedankenguts
überschüttet werden.

Avnery: Ich glaube, Deutschland hat seine
Vergangenheit noch nicht überwunden, daher dieser
ungesunde Zustand, der jede normale Diskussion
über den Palästina-Konflikt in Deutschland
unmöglich macht. Wenn ich Deutscher wäre, würde
ich die Atmosphäre in meinem Land ablehnen, und
ich hoffe, ich hätte den Mut, auch dann zu sagen,
was ich hier und heute als Israeli vertrete.

Jüdische Institutionen genießen in Deutschland ein
hohes moralisches Ansehen, inwieweit sind sie aber
von der Politik der Regierung in Jeruslalem
beeinflußt?

Avnery: Die israelische Botschaft in Berlin zum
Beispiel ist heute schlicht eine
Propagandazentrale der israelischen Regierung.

So wie das jede Botschaft ist.

Avnery: Im Prinzip ja, aber frühere israelische
Botschafter hatten durchaus eigene Meinungen, mit
denen sie auch nicht hinter dem Berg gehalten
haben.

Dem Zentralrat der Juden in Deutschland werfen Sie
"totale Einseitigkeit" vor.

Avnery: Ja, der Zentralrat ist leider eine
Filliale der israelischen Botschaft in Berlin.
Allerdings war auch das nicht immer so. Zu Zeiten
Ignatz Bubis´ wurde noch Kritik an der
israelischen Politik geübt. Doch der jetzige
Zentralrat scheint ebenfalls nur ein
Propagandainstrument der Regierung Scharons zu
sein. Soweit ich weiß, haben diese Leute keinerlei
Beziehung zu liberalen Strömungen in Israel,
geschweige denn zur israelischen Friedensbewegung.

Das heißt, Sie halten dasWirken des Zentralrates
für geradezu unheilvoll, weil er den Deutschen
unter Ausklammerung der gesamten
gesellschaftlichen Breite ein falsches Bild von
Israel vermittelt?

Avnery: Das ist leider richtig. Ich werde zum
Beispiel immer wieder von liberalen jüdischen
Kreisen nach Deutschland eingeladen, nie jedoch
vom Zentralrat. Allerdings ist das nicht nur ein
deutsches Phänomen, sondern in vielen Ländern so.
Stets schweigen die organisierten jüdischen
Gemeinden über die Politik der israelischen
Regierung, was de facto einer Zustimmung
gleichkommt. Das ist auch nicht verwunderlich,
denn die israelischen Botschaften wirken bei den
Wahlen stark in die Gemeinden hinein. Wer also die
israelische Regierungspolitik deutlich kritisiert,
der hat später bei den Wahlen in den Gemeinden
keine Chance.

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