der semitische antisemit?teil3
Sie sagten, Ignatz Bubis habe die Regierung in
Jerusalem kritisiert.
Avnery: Dennoch gibt es natürlich selbständigere
und unselbständigere Vorsitzende. Bubis gehörte zu
ersteren, zumindest in der ersten Zeit.
Sie kritisieren aber auch die deutsche Regierung.
Avnery: Meine Organisation Gush Shalom, der
Friedensblock, führt schon seit Jahren einen
Boykott gegen die Erzeugnisse der Siedlungen im
Westjordanland und im Gaza-Streifen durch. So
versuchen wir, die Siedlungspolitik zu stoppen.
Doch die Erzeugnisse der Siedlungen werden auch
nach Europa, etwa nach Deutschland exportiert.
Dabei schließt der europäische Handelsvertrag mit
Israel diese Produkte aus. Dennoch werden diese
Produkte illegal nach Europa eingeschleust. Zwar
versuchen die verantwortlichen Stellen seit
Jahren, diesen Warenfluß zu verhindern, werden
aber daran von den Außenministerien der
europäischen Staaten, besonders Deutschlands
gehindert. Das heißt: Europa finanziert die
Siedlungspolitik mit etwa 200 Millionen Dollar im
Jahr. Deutschland und Europa finanzieren eine
Entwicklung, die zum Unglück Israels beiträgt,
weil sie den Frieden verhindert.
Haben Sie Außenminister Joschka Fischer schon
einmal darauf angesprochen?
Avnery: Ich habe ihn bereits mehrmals
angesprochen, immer ohne Erfolg. Auf einer
Veranstaltung in Tel Aviv erwiderte er nur
lapidar: "Ich bin der deutsche Außenminister".
Was bedeuten soll...?
Avnery: Das heißt, er zieht sich darauf zurück,
keine persönliche Meinung zu vertreten, sondern
nur die Politik Deutschlands. Ich kenne Joschka
Fischer bereits seit 1982 und bin sehr enttäuscht
darüber, daß er heute eine so absolut
amerikahörige Politik betreibt, statt Europa zu
einer selbständigen und ausgeglichenen Politik zu
führen.
Joschka Fischer war einst Gast auf PLO-Kongressen.
Halten Sie es für möglich, daß er sich auf diese
Art und Weise von seinem damaligen Verhalten
entlasten möchte?
Avnery: Das kann ich nicht beurteilen, aber denken
Sie daran, wie gern er sich früher mit Yassir
Arafat hat fotografieren lassen. Als aber Arafat
im April während der Operation "Schutzschild" in
Ramallah belagert wurde, und wir von Gosh Shalom
versucht haben, uns zwischen die Fronten zu
stellen, da ist Joschka Fischer ferngeblieben. Die
Amerikaner pflegen zu sagen, "A friend in need, is
a friend indeed", also "Nur ein Freund in der Not
ist ein wahrer Freund". Er hat sich nicht als
Freund erwiesen.
War der Besuch des FDP-Parteichefs Guido
Westerwelle Anfang dieser Woche in Israel nicht
eine Gelegenheit, diese Kritik über andere Kanäle
als den Kontakt zum Auswärtigen Amt in Deutschland
zu lancieren?
Avnery: Der Besuch Guido Westerwelles und die
Affäre um die Herren Möllemann und Karsli werden
hier beinahe vollständig ignoriert, dafür
interessiert sich hier kaum jemand. Allerdings
hätte doch jede deutsche Partei die Möglichkeit,
die wirkliche Situation in Israel und Palästina
zur Kenntnis zu nehmen. Doch haben sie alle Angst
davor, als antisemitisch bezeichnet zu werden.
Schließlich ist diese Befürchtung allerdings auch
begründet, wie die Affäre um die FDP leider zeigt.
Deutsche Politiker sind häufig nicht auf die
Moral, sondern auf die Einhaltung einer "political
correctness" fixiert. Zum Beispiel, was den
angeblich richtigen Ton gegenüber Israel betrifft.
Jeder Akteur in Deutschland ist dabei bemüht, eine
jüdische Stimme zu finden, die ihm für sein
Verhalten "Absolution" erteilt. Statt sich selbst
den Herausforderungen zu stellen und sich um eine
eigene Moral zu bemühen, sucht man Juden, die man
befragen kann, und ist damit moralisch entlastet.
Als Beispiel für diese deutsche Feigheit können
Sie wahrscheinlich auch dieses Interview
betrachten.
Avnery: Das ist in der Tat eine ungesunde
Atmosphäre, die man auslüften muß, und ich kann
nur hoffen, daß die Affäre Möllemann/ Karsli
wenigstens dazu beiträgt, eine Diskussion über
diese Probleme in Deutschland zustande zu bringen.
Geben Sie allerdings Gedankenfreiheit, dann wird
diese Freiheit unweigerlich auch von echten
Antisemiten genutzt werden. Auf diesen Einwand muß
man vorbereitet sein.
Avnery: Natürlich, aber das muß man in Kauf
nehmen.
Haben Sie Verständnis dafür, daß das die Juden in
Europa kritischer sehen als Sie, der Sie in Israel
leben?
Avnery: Ich verstehe das sehr gut, schließlich ist
meine Familie selbst 1933 aus Deutschland
geflohen, und es ist auch richtig, auf der Wacht
zu sein. Aber ich glaube dennoch, daß dieses
Phänomen im Europa von heute - wohl in der
Erinnerung an die Vergangenheit - überschätzt
wird. Der Antisemitismus ist heute keine wirkliche
Gefahr mehr in Europa. Hinter jeder Ecke
Antisemiten zu sehen, ist weder hilfreich noch
gesund.
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