...und machen eine Menge Kohle
Eine kurze Erläuterung zu diesem Thema:
Im Frühjahr haben wir eine Lesung mit Jennifer Teege organisiert. Bekannt? Sie ist die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers. Ihr Buch heißt: „Mein Großvater hätte mich erschossen“. Der Großvater war Amon Göth, Kommandant des KZ Plaszów bei Krakau und kommt im Film „Schindlers Liste“ vor.
Teege hat mit einer Ghostwriterin ihre Biografie geschrieben und daraus vorgelesen. Ein entspannender Abend. Ihren Großvater bezeichnete sie als Psychopathen, ihre Großmutter, die sie sehr geliebt hat, als Frau, die ihm völlig ergeben war.
Ich habe das Buch nicht gekauft, weil mich ohne Aufarbeitung der historischen Zusammenhänge die Biografie einer Jennifer Teege eigentlich nicht interessiert. Ich habe ihr zugehört, es war unterhaltsam, mehr nicht.Andere sahen das anders und ihr Buch ging weg wie nix.
Nach der Veranstaltung kam es dann (fast aber haarscharf) zu einem Streit mit einer jüdischen Bekannten. Und nach zwei Tagen Nachdenken musste ich ihr eigentlich Recht geben: Jennifer Teege macht heute mit der Tatsache, dass ihr Großvater ein Massenmörder war, eine Menge Kohle. Wäre es ihr um wirkliche Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte gegangen, hätte sie ein paar noch offene Fragen beantworten können, hätte die Sache anders ausgesehen. Oder wenn sie das Geld gespendet hätte.
So war es tatsächlich eine verlogene Sache.Aus solchen Fällen stammt mein Misstrauen, wenn Leute ihr Unglück vermarkten.
Liebe Divara,bereits die Ausgangsprämisse kann als fragwürdig gelten. So machen die meisten Autoren von populären Sachbüchern (mit oder ohne auto- bzw. familienbiographischen Einschlag), soweit sie nicht A-prominent sind, mit 1 Buch zumindest keine Menge Kohle. Zusätzlich hatte Jennifer Teege eine Ghostwriterin, die es nicht umsonst macht. Damit für vor der Veröffentlichung unbekannte Autoren eine Menge Kohle zusammenkommt, muss das Buch ein wirklicher Bestseller sein.
Aber es scheint ein Bestseller zu sein. Zumindest ist es sehr bekannt, und an dem Abend hat man es dem eigens angereisten Verlagsvertreter aus den Händen gerissen. In der Regel kommt niemand vom Verlag, sondern der Büchertisch muss in Kooperation mit einer Buchhandlung von uns organisiert werden. Aber ok, es ist keine Vergehen, einen Bestseller zu schreiben.
Darüber hinaus erschließt sich mir nicht, wieso sich "wirkliche Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte" und "Geld dafür bekommen" gegenseitig ausschließen sollen.
Da liegt vielleichrt ein Missverständnis vor. Wer einen Beitrag zur Forschung leistet soll damit so viel Geld verdienen wie er mag. Ich denke an Niklas Frank/Der Vater, oder Katrin Himmler/Die Brüder Himmler. Diese Bücher sind keine Bestseller geworden. Im Gegenteil: Niklas Frank wurde in der sich an Teege anschließenden Diskussion sehr negativ bewertet, weil er sich seinen ganzen Hass (ich würde eher sagen: seine Verzweiflung) von der Seele schrieb. Das ist unfein. Jennifer Teeges Buch ist eher Bettlektüre. Opa ein Psychopath, Oma lieb. Mama ein Problem. Sowas kommt vor.
Wir kennen nun die berufliche Situation bzw. die finanzielle Lage von Jennifer Teege nicht. Was man aber allemal wissen kann, ist, dass sie durch die Produktion des Buches Opportunitätskosten hatte und hat. So wird sie mit Verlagsmitarbeitern und ihrer Ghostwriterin doch einige Zeit verbracht haben. Dann ist sie offenbar auf Lesetour. Während dieser ganzen Zeit konnte bzw. kann sie nicht anderweitig Geld verdienen.
Sie gab auch nichts aus. Übernachtung, Reisekosten, Saal, Verpflegung zahlten wir. Und wie unsere Tageszeitung zu schreiben geruhte: Sie trat auf wie ein Model. High-Heels, knallenge Jeans, perfekt geschminkt. Es passte nicht wirklich zur Situation.
Das Schicksal beschert manchen Menschen eine außergewöhnliche Biographie und/oder Familiengeschichte. Im Allgemeinen ist nichts dagegen einzuwenden, diese ggf. zu vermarkten. Was im Besonderen, im Fall Jennifer Teege dagegen sprechen soll, dies zu tun, hast du in meinen Augen bislang nicht plausibel machen können. So deutet hier nichts darauf hin, dass es sich etwa um eine pathologische Narzisstin handelt, die z.B. ein Rezept für den Weltfrieden gefunden hat.
Sie hatte keine außergewöhnliche Biografie. Sie hatte nur einen außergwöhnlichen Großvater, auf den sie per Zufall gestoßen sein will: Sie sieht "Schindlers Liste", hört den Namen Göth, und es macht nicht klick, das ist doch der Mädchenname meiner Mutter? Irgendwann, sehr viel später, erkennt sie die Zusammenhänge? Das soll sie mal ihrer lieben Oma erzählen.
Auch handelt es sich bei Jennifer Teege nicht etwa um die (wahrscheinlich) rumänische Bettlerin, deren Leistung darin besteht, wie neulich am Eingang meiner Einkaufspassage, auf der Erde sitzend zeternd herumnerven. Irgendeine Gegenleistung bot sie dagegen nicht an. Mir blieb dieser jämmerliche, für die Rezipienten ungefragte Auftritt deshalb im Kopf, weil ich auf dem Hinweg bei der Apotheke neben dem Eingang in der Schlange stand und auf dem Rückweg sah, wie die nervende Frau von zwei Männern, die aus einem neuen Kleinlieferwagen stiegen, abgeholt wurde.
Da sagst du was. Aber das ist ein neues Problem.
Da lobe ich mir Autoren und Verlage, die tatsächliches und/oder vermeintliches Unglück vermarkten und dabei weniger aufdringlich in mein Bewusstsein kamen.
Gut, da gebe ich dir natürlich völlig recht. Und wer das lesen will, soll es tun. Ich selber kann diese weichgespülten Berichte über die NS-Zeit nicht ertragen Wahrscheinlich bin ich noch zu nah dran.
Ähnlich geht es mir, wenn ich vergleiche: Oriana Fallaci/Ein Mann und die Schnulzen von Theodorakis.
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Divara,
03.07.2014, 11:26
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