storie del paradiso

Divara @, Montag, 22. September 2014, 17:34 (vor 3887 Tagen)

Das Stichwort heißt Perugia, und bei dieser Gelegenheit möchte ich euch von meiner ersten Begegnung mit leibhaftigen Palästinensern schildern. Die fand nämlich genau dort statt.

Ich muss ein wenig ausholen.

Kaum war ich dort angekommen, lernte ich Anne-Marie (gespr: Ann-Marí) aus Lüttich/Liège/Liegi kennen, und Anne-Marie war jemand, deren Lebenslust nicht zu bremsen war und die im Nu eine wunderbare Gang zusammenstellte. An alle erinnere ich mich genau:
Nikos und Jorgos (Griechenland, Medizinstudenten)
Haluk (Türkei, Student, Fach? weiß nicht mehr)
Ayla und Lamia (Tunesien, Ayla Studentin, Lamia einfach nur reich und zum chillen dort)
Laviano und Giorgio (Peruginer, wie sich später herausstellte keine Studenten, sondern brave Familienväter, die ihre sposa beim Baby ließen und sich halt ein wenig amüsierten. Warum auch nicht? So waren damals die Zeiten).

Ok, gekifft haben wir nicht. Das war damals noch nicht so in Mode. Aber ansonsten haben wir nichts ausgelassen. Perugia ist eine eigene Welt, das muss man erlebt haben. In Perugia lernt man viel, aber nebenbei blüht die Sünde.

Wir hatten eine nette Stammkneipe, eher eine Bar oder eine Disco, in Italien konnte man das damals nicht so ganz genau festlegen. Allerdings wurde das bei unserem Alkoholkonsum auf Dauer etwas teuer. Nicht für Anne-Marie und mich, für uns war Italien damals spottbillig, für die Tunesierinnen auch nicht, aber für die anderen Studenten und die Familienväter auch. Wir fanden die Lösung, kauften uns eine Flasche Cognac, nahmen sie mit in die Bar, bestellten jeder ein Gläschen und füllten es aus der Flasche wieder auf. Das funktionierte gut, bis wir leider am zweiten oder dritten Tag so entspannt waren, dass wir vergaßen, die leere Flasche wieder mitzunehmen. Als wir dann wiederkommen wollten, schmiss uns der Wirt gleich raus.

Perugia bietet viel, wir hatten also kein Problem. Die Stadt besitzt eine schöne Kathedrale mit einer hohen breiten Treppe, und auf dieser Treppe traf sich abends das junge Volk. Wir kauften also Wein und Pappbecher und trafen uns nun auf der Treppe. Nicht immer alle zusammen, aber in genügender Zahl. Des Öfteren erlebten wir dort den Sonnenaufgang, und dann lohnte es sich nicht mehr, vor Beginn des Kurses ins Bett zu gehen. Also blieben wir dort, aber wir wollten natürlich nicht nüchtern zur Uni. Auch das Problem war billig zu lösen: zwei von uns wurden in die seit den frühen Morgenstunden arbeitenden Backstuben geschickt, um zu fragen, ob man ein Brötchen haben könnte. Die Bäckerjungen waren immer großzügig, schenkten jedem ein Brötchen und restlichen klauten wir zusammen, so dass jeder eins bekam. Ab sechs Uhr gab es Kaffee. Es war also alles gut geregelt. Schlafen konnte man ja nachmittags im Schwimmbad.

Das ist Teil 1.
In Teil 2 kommen die Palästinenser ins Spiel. Aber dazu fehlt mir jetzt die Zeit.

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Divara @, Montag, 22. September 2014, 20:27 (vor 3887 Tagen) @ Divara

Ich muss wohl zwischendurch noch etwas klären. In Perugia, das ist vielleicht nicht allen Foristen bekannt, gibt es eine "università per stranieri" - eine Ausländeruniversität. Dort kann man Italienisch auf jedem Level lernen/studieren - vom Anfänger bis zum Diplom. Daher kommt diese bunte Mischung von Nationalitäten zusammen.

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Divara @, Dienstag, 23. September 2014, 10:36 (vor 3887 Tagen) @ Divara

Also kommen wir zum eigentlichen Thema.
Eines Abends schlenderte ich mal wieder zu den scaline, der Treppe, es war nicht viel los. Nur Anne-Marie war da, und sie saß neben zwei Typen, die ich nicht kannte. Sie winkte und ich ging zu den Dreien, stellte mich kurz vor, und Anne-Marie informierte mich in aller Kürze auf Französisch: Ils sont sympas, mais c’est des pauv‘ gars: ce sont des Palestiniens.
Ich setzte mich also dazu. Es folgten traurige Geschichten von Krieg, Flucht und Vertreibung, auseinandergerissenen Familien, Flüchtlingslagern und Exil. Das alles fiel bei mir auf noch fruchtbareren Boden als bei Anne-Marie, denn das alles kannte ich ja noch (die allerletzte Hütte verschwand bei uns nach der Jahrtausendwende), und die Erfahrung hatte eine Auffrischung beim Anblick der Zeltstädte auf Zypern bekommen, von denen allerdings niemand sprach.

Wir waren also voller Mitgefühl, hörten uns die Geschichten an, und als mal jemand von unserer Gang auftauchte, winkten wir ihnen nur zu und blieben erschüttert sitzen wo wir waren. An diesem Abend gingen wir früher schlafen als sonst. Tat auch mal gut.
Nächster Abend. Sie waren wieder da. Wir Anne-Marie und ich setzten uns zu ihnen und blieben auch dort, als nach und nach unsere Freunde eintrudelten und in einiger Entfernung Platz nahmen. Es wurde wieder ein sehr trauriger Abend. Natürlich hatten wir auch vorher schon gewusst, dass die Israelis alles falsch und die Araber alles richtig machten, aber dass es so arg schlimm war, das hätten wir nun doch nicht gedacht. Was man in Perugia nicht alles lernt.

Am dritten Abend dieser Geschichte waren unsere Freunde komplett zuerst da. Wir waren wieder vereint. Die zwei unglücklichen Flüchtlinge kamen etwas später, und Anne-Marie und ich gingen zu ihnen: Kommt doch rüber zu uns, wir haben Wein dabei, ihr seid eingeladen. Nein nein, sie schüttelten gramvoll das Haupt. Sie könnten nicht, es sei ja alles viel zu traurig, so viel Heimweh.
OK, sagt die robuste Anne-Marie, dann nicht. Und wir kehrten zu unseren Freunden zurück, die uns mit strahlendem Lächeln empfingen. Und ausgerechnet Lamia, die Tunesierin, drehte die Augen zum Himmel und sagte erleichtert: Vous avez enfin compris? (in etwa: Habt ihr’s endlich kapiert?)

Als wir später nach Hause gingen, meinte Anne-Marie noch: Tolles Exil. Ich würde eigentlich auch ganz gern in Perugia studieren, aber mir bezahlt das keiner.
Der Gedanke war mir zwischendurch auch schon gekommen.

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Oblomov, Dienstag, 23. September 2014, 16:17 (vor 3886 Tagen) @ Divara

(...)Sie könnten nicht, es sei ja alles viel zu traurig, so viel Heimweh.

Menschen haben unterschiedliche Interessen, und wer verläßt schon gern die Heimat, das vertraute soziale Umfeld?

Alles nachvollziehbar, nur - und das macht den wesentlichen Unterschied zu früher -

heute verachten ( nennen es selbst sogar: hassen ) nicht wenige Immigranten das Aufnehmerland,

während noch vor 70 Jahren das Gefühl der tiefen Dankbarkeit vorherrschte. Zumeist ergab sich daraus

eine Grundloyalität dem Staat gegenüber. Kein Wunder, denn das Aufnehmerland hatte Leben gerettet,

indem es Asyl bot.

Das schloss nicht aus, dass man mit seinem Schicksal/Kismet haderte (s.o., Heimat).

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Divara @, Donnerstag, 25. September 2014, 19:44 (vor 3884 Tagen) @ Oblomov

(...)Sie könnten nicht, es sei ja alles viel zu traurig, so viel Heimweh.


Menschen haben unterschiedliche Interessen, und wer verläßt schon gern die Heimat, das vertraute soziale Umfeld?

Alles nachvollziehbar, nur - und das macht den wesentlichen Unterschied zu früher -

heute verachten ( nennen es selbst sogar: hassen ) nicht wenige Immigranten das Aufnehmerland,

während noch vor 70 Jahren das Gefühl der tiefen Dankbarkeit vorherrschte. Zumeist ergab sich daraus

eine Grundloyalität dem Staat gegenüber. Kein Wunder, denn das Aufnehmerland hatte Leben gerettet,

indem es Asyl bot.

Das schloss nicht aus, dass man mit seinem Schicksal/Kismet haderte (s.o., Heimat).

Ich sagte ja, ich habe den Klagen der beiden Jungs durchaus mein Ohr und mein Herz geliehen, obwohl ich (bis heute) von einem einzigen Blick auf Palästinenser geprägt bin: ich sehe Köpfe mit einer Strumpfmaske auf einem Balkon.

Trotzdem gebe ich zu, dass mein Rückgrat in der damaligen Zeit eher etwas weich war. Wer will schon Außenseiter sein, vor allem, wenn der Staat einen mitten in die Höhle des Löwen schickt, wo man allein gar nicht überleben kann.
Aber aus gegebenem Anlass möchte ich bemerken, dass es anders geworden ist. Der Anlass: ich habe mal wieder einen Text von Ruprecht Polenz gelesen. Der hat mir zu seinen Zeiten als Lokalpolitiker immer imponiert, auch wenn ich seine Meinung nicht unbedingt teilte. Aber er war eloquent, konsequent und mutig. Heute hat er überhaupt kein Rückgrat mehr.
Den umgekehrten Weg finde ich besser.

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Oblomow, Sonntag, 28. September 2014, 03:27 (vor 3882 Tagen) @ Divara



Aber aus gegebenem Anlass möchte ich bemerken, dass es anders geworden ist. Der Anlass: ich habe mal wieder einen Text von Ruprecht Polenz gelesen. Der hat mir zu seinen Zeiten als Lokalpolitiker immer imponiert, auch wenn ich seine Meinung nicht unbedingt teilte. Aber er war eloquent, konsequent und mutig. Heute hat er überhaupt kein Rückgrat mehr.
Den umgekehrten Weg finde ich besser.

Ja, liebe Divara, eine Frage der persönlichen Entwicklung.... ;-)

Gibt es einen neueren Artikel von R.Polenz, den ich übersehen habe?
Hätten Sie noch einen Link für mich?

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Divara @, Sonntag, 28. September 2014, 11:00 (vor 3882 Tagen) @ Oblomow



Aber aus gegebenem Anlass möchte ich bemerken, dass es anders geworden ist. Der Anlass: ich habe mal wieder einen Text von Ruprecht Polenz gelesen. Der hat mir zu seinen Zeiten als Lokalpolitiker immer imponiert, auch wenn ich seine Meinung nicht unbedingt teilte. Aber er war eloquent, konsequent und mutig. Heute hat er überhaupt kein Rückgrat mehr.
Den umgekehrten Weg finde ich besser.


Ja, liebe Divara, eine Frage der persönlichen Entwicklung.... ;-)

Gibt es einen neueren Artikel von R.Polenz, den ich übersehen habe?
Hätten Sie noch einen Link für mich?

Nein, monsieur Oblomow, er tummelt sich auf facebook, und das sagt schon einiges aus. Wie aus dem nichts taucht er dort auf, beklagt das Burkaverbot des Europäischen Gerichtshofes und wirft Leuten, die er gar nicht kennt vor, auf das Wort Islam zu reagieren wie der Pawlowsche Hund.
Wäre er nicht Beamter, würde ich mir Fragen stellen und ihm vorschlagen, niemals Fallschirm zu springen.
Kürzlich wurde er Mitglied einer illustren Organisation namens DINO, die sich den Westfälischen Frieden unter den Nagel reißt und der profiliertesten Israelhasserin des wdr, Judith Schulte-Loh, irgendeinen Preis für ihre Nahostberichterstattung verliehen hat.
Gerade hat DINO ein Mega-Event gestartet, im Rathausfestsaal, mit Grußwort von Gauck und Hannelore K., die ein unglaubliches Blabla von sich gegeben haben, wie hier nachzulesen ist:
http://www.dino-muenster.de/
Ich rechne es unserer Tageszeitung, die nicht zu den Großen des Landes zählt, hoch an, dass sie darüber nicht berichtet hat.

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Oblomov, Dienstag, 23. September 2014, 15:40 (vor 3886 Tagen) @ Divara

Das Stichwort heißt Perugia,(..........)
(.....), aber wir wollten natürlich nicht nüchtern zur Uni.

(Hervorhebung d.U.)

Ich fürchte, mein Weltbild gerät ins Schwanken - soweit es Ihre Persönlichkeit ( oder meine Vorurteile) betrifft.

Machen Sie ruhig weiter so, liebe Divara! ;-)

Ich bin gespannt. Sind wir nun bei den "Swinging Sixties" angelangt. Oder schon in der Aera des Flower-Power?

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Divara @, Dienstag, 23. September 2014, 22:37 (vor 3886 Tagen) @ Oblomov

Das Stichwort heißt Perugia,(..........)
(.....), aber wir wollten natürlich nicht nüchtern zur Uni.

(Hervorhebung d.U.)

Ich fürchte, mein Weltbild gerät ins Schwanken - soweit es Ihre Persönlichkeit ( oder meine Vorurteile) betrifft.

Machen Sie ruhig weiter so, liebe Divara! ;-)

Ich bin gespannt. Sind wir nun bei den "Swinging Sixties" angelangt. Oder schon in der Aera des Flower-Power?

Monsieur Oblomow, sooo alt bin ich nun auch wieder nicht. Flowerpower und Swinging Sixties waren damals schon Geschichte.
Aber man darf nicht vergessen, dass dies ein letzter Ausbruch war, bevor der Staat in Form des Referendardienstes voll und ganz zuschlug, eine wahre Hölle.

"Nüchtern" bezieht sich hier natürlich auf Kaffee und Brötchen. Das Wort hat morgens und abends eine andere Bedeutung.

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Oblomov, Mittwoch, 24. September 2014, 04:52 (vor 3886 Tagen) @ Divara

Das Stichwort heißt Perugia,(..........)
(.....), aber wir wollten natürlich nicht nüchtern zur Uni.

(Hervorhebung d.U.)

Ich fürchte, mein Weltbild gerät ins Schwanken - soweit es Ihre Persönlichkeit ( oder meine Vorurteile) betrifft.

Machen Sie ruhig weiter so, liebe Divara! ;-)

Ich bin gespannt. Sind wir nun bei den "Swinging Sixties" angelangt. Oder schon in der Aera des Flower-Power?


Monsieur Oblomow, sooo alt bin ich nun auch wieder nicht.

Pardon, Madame.

Flowerpower und Swinging Sixties waren damals schon Geschichte.
Aber man darf nicht vergessen, dass dies ein letzter Ausbruch war, bevor der Staat in Form des Referendardienstes voll und ganz zuschlug, eine wahre Hölle.

Referendarzeit für das Lehramt, oder?


"Nüchtern" bezieht sich hier natürlich auf Kaffee und Brötchen. Das Wort hat morgens und abends eine andere Bedeutung.

LOL, sehr geschickte Escapierung, liebe Kollegin ! ;-)
Aber ich gebe gerne zu, etwas zu schnell gelesen zu haben.


.

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Divara @, Mittwoch, 24. September 2014, 22:21 (vor 3885 Tagen) @ Oblomov

Das Stichwort heißt Perugia,(..........)
(.....), aber wir wollten natürlich nicht nüchtern zur Uni.

(Hervorhebung d.U.)

Ich fürchte, mein Weltbild gerät ins Schwanken - soweit es Ihre Persönlichkeit ( oder meine Vorurteile) betrifft.

Machen Sie ruhig weiter so, liebe Divara! ;-)

Ich bin gespannt. Sind wir nun bei den "Swinging Sixties" angelangt. Oder schon in der Aera des Flower-Power?


Monsieur Oblomow, sooo alt bin ich nun auch wieder nicht.

Pardon, Madame.

Flowerpower und Swinging Sixties waren damals schon Geschichte.
Aber man darf nicht vergessen, dass dies ein letzter Ausbruch war, bevor der Staat in Form des Referendardienstes voll und ganz zuschlug, eine wahre Hölle.


Referendarzeit für das Lehramt, oder?

Ja, das Grauen hatte einen Namen.


"Nüchtern" bezieht sich hier natürlich auf Kaffee und Brötchen. Das Wort hat morgens und abends eine andere Bedeutung.


LOL, sehr geschickte Escapierung, liebe Kollegin ! ;-)
Aber ich gebe gerne zu, etwas zu schnell gelesen zu haben.


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Divara @, Donnerstag, 25. September 2014, 12:07 (vor 3885 Tagen) @ Divara

https://www.google.de/maps/place/Perugia+Cathedral/@43.1124132,12.389481,3a,90y,290h,90...

le scaline...die Treppe. Ich hatte sie allerdings größer in Erinnerung.

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