Die Frankfurter Erklärung von 2015

Schlemiel, Donnerstag, 08. Januar 2015, 11:16 (vor 3779 Tagen)

«Es ist anläßlich der fürchterlichen Morde in Paris wohl nötig, mal wieder Grundsätzliches über Komik und Satire zu sagen. Denn nicht nur islamistischen Terroristen, so unsere Erfahrung bei der Titanic, fehlt es da an der Grundausstattung. Komik ist zu allererst ein Mittel, dem Ernst des Lebens, der die meisten von uns bedrückt, selbst wenn nicht gerade Raketenwerfer in Redaktionsräumen abgefeuert werden, etwas entgegenzusetzen, im besten Falle seiner Herr zu werden. Und je ernster die Lage, desto wichtiger der Humor. Komik schafft Distanz zu bedrückenden Ereignissen, sie erlaubt, uneigentlich über eigentlich Unerträgliches zu sprechen – und so den Schrecken zu bekämpfen. Sehr viele Komikunkundige, ob Islamisten, Rassisten oder deutsche Durchschnittsjournalisten, begehen meist den Fehler, einen Witz auf einen unkomischen, ernsten (und zumeist noch auf einem Mißverständnis beruhenden) Aussagekern herunterbrechen zu wollen. Die einen, weil sie den Witz auslöschen wollen; die anderen, weil sie glauben, Satire und Komik zu ernsten Themen sei nur angebracht, wenn sie „wertvoll“, „geistreich“ oder was auch immer ist.

Es ist natürlich schöner, wenn Komik auch noch eine kluge Botschaft transportiert, aber sie ist auch ohne sehr viel wert. Das müßten die meisten Menschen eigentlich wissen, denn sie praktizieren es privat. Als etwa gestern ca. 100 Journalisten Interviews und Statements von mir haben wollten, fielen immer wieder Wendungen wie „Wir wollten Sie nicht überfallen“ oder „Schießen Sie los“ – und was taten diese Leute, als Ihnen auffiel, was sie da gerade versehentlich, aus Routine gesagt hatten? Sie lachten. Nicht etwa, weil sie sich damit über die ermordeten Satiriker lustig machten, sondern weil ihre üblichen Phrasen auf einmal in einem anderen Kontext standen, eine Bedeutung bekamen, die sie nicht haben sollten. Dahinter steckt keine wertvolle Aussage, es nimmt schlicht für einen Moment dem Ernst die Macht.

Und das dürfte der Grund sein, weswegen Fanatiker, speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muß das andere mißverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.

Seit gestern gilt mehr denn je: Es lebe der Witz. Der kluge. Der platte. Jeder, der genügend Menschen findet, die über ihn lachen. Und für alle, die ihn nicht mögen, sollte mehr denn je gelten: Ertragt ihn oder ignoriert ihn. Ihr werdet der Komik nicht Herr!

von Tim Wolff, Chefredakteur TITANIC»

Die Frankfurter Erklärung von 2015 / Replik

Schlemiel, Donnerstag, 08. Januar 2015, 17:08 (vor 3779 Tagen) @ Schlemiel

»Die ist bestimmt nicht Charlie

Den Namen des Satiremagazins „Titanic“ kennen viele, vor allem Journalisten. Die Titanic war mal richtig gut; damals, als sie noch den Kohl hatte und die Wiedervereinigung. Heute wird sie offenbar kaum mehr gelesen. Anders erschließt sich nicht, warum deutsche Medien gestern behaupteten, „inhaltlich“ sei „Charlie Hebdo der Titanic vergleichbar“. Hä? Charlie ist (oder war) eine Schnellfeuerkanone des anarchischen Brachialhumors, die wahrhaftig vor nichts zurückschreckt. Die Titanic wirkt dagegen wie eine mit kleinkalibrigem Ulk armierte Schwester von Gremlizas Klugscheißerkurier „Konkret“.

Die Frankfurter watschen jahraus, jahrein routiniert die immerselben, in linken Milieus handelsüblichen Zielgruppen und Personen ab. Union, FDP, Bildzeitung, die doofen Amis, die spießigen Deutschen, neuerdings die noch spießigere AfD; MerkelGabrielSeehofer usw., usf. Als eiserne Gag-Reserve führt der mutige Titanic-Redakteur stets einen Katholenböller im Scherztornister mit. Den Papst als bepissten Tattergreis aufs Cover zu stellen, bildete vor einiger Zeit den Höhepunkt der Gratiscourage. So etwas trägt den Satireerzeugern zwar keine Massaker, aber schon mal eine Unterlassungserklärung ein, welche sie für ein Weilchen im Gespräch hält.

Der Spaß hört beim Islam allerdings auf. Mit dessen zuweilen ja nicht unkomischen Erscheinungsformen oder mit „Islamkritik“ oder gar mit Mohammed-Anmache haben die Religionsverächter auf der Titanic wenig am Griffel. Stattdessen stänkern sie gern gegen den - im Gegensatz zur Titanic - ziemlich erfolgreichen Kabarettisten Dieter Nuhr. Der spottet als beinahe Einziger seiner Zunft regelmäßig auch über gewisse Ausübungen der Religion des Friedens.

Um ihre Ahnungslosigkeit über die Titanic unter Beweis zu stellen, riefen gestern diverse Blätter und Sender bei den Frankfurter Spaßgesellen an. Ob diese sich jetzt auch in Gefahr fühlten, wollte man wissen. Was sehr lustig war, denn ebenso gut hätte man einen Hartz IV-Empfänger fragen können, ob er sich von den neuen Gesetzen gegen Geldwäsche bedroht fühlt. Oder einen Menschen ohne Führerschein dazu interviewen können, wie empfindlich ihn die PKW-Maut treffen wird.

Der Titanic-Chefredakteur, die unverhoffte Aufmerksamkeit nutzend, machte sich kerzengerade. Dem Branchendienst „Meedia“ verriet er zum Beispiel, „keine Angst“ zu haben. Im Gegenteil, man wolle dem Wahnsinn die Stirn bieten: „Ich möchte, dass sich unsere Haltung nicht ändert, dass wir Relevantes und Witziges in Beiträge fassen und dabei wie bisher standhaft bleiben.“ Das hörte sich derart sperrholzdämlich an, dass man es fast für gelungene Satire hätte halten können.

Aber der heutigen Titanic eine solche zu unterstellen, ist möglicherweise denn doch ein bisschen abwegig.

Wolfgang Röhl, die Achse des Guten»

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Die Frankfurter Erklärung von 2015 / Replik

Alex @, Donnerstag, 08. Januar 2015, 18:06 (vor 3779 Tagen) @ Schlemiel

»Die ist bestimmt nicht Charlie

Den Namen des Satiremagazins „Titanic“ kennen viele, vor allem Journalisten. Die Titanic war mal richtig gut; damals, als sie noch den Kohl hatte und die Wiedervereinigung. Heute wird sie offenbar kaum mehr gelesen. Anders erschließt sich nicht, warum deutsche Medien gestern behaupteten, „inhaltlich“ sei „Charlie Hebdo der Titanic vergleichbar“. Hä? Charlie ist (oder war) eine Schnellfeuerkanone des anarchischen Brachialhumors, die wahrhaftig vor nichts zurückschreckt. Die Titanic wirkt dagegen wie eine mit kleinkalibrigem Ulk armierte Schwester von Gremlizas Klugscheißerkurier „Konkret“.

Die Frankfurter watschen jahraus, jahrein routiniert die immerselben, in linken Milieus handelsüblichen Zielgruppen und Personen ab. Union, FDP, Bildzeitung, die doofen Amis, die spießigen Deutschen, neuerdings die noch spießigere AfD; MerkelGabrielSeehofer usw., usf. Als eiserne Gag-Reserve führt der mutige Titanic-Redakteur stets einen Katholenböller im Scherztornister mit. Den Papst als bepissten Tattergreis aufs Cover zu stellen, bildete vor einiger Zeit den Höhepunkt der Gratiscourage. So etwas trägt den Satireerzeugern zwar keine Massaker, aber schon mal eine Unterlassungserklärung ein, welche sie für ein Weilchen im Gespräch hält.

Der Spaß hört beim Islam allerdings auf. Mit dessen zuweilen ja nicht unkomischen Erscheinungsformen oder mit „Islamkritik“ oder gar mit Mohammed-Anmache haben die Religionsverächter auf der Titanic wenig am Griffel. Stattdessen stänkern sie gern gegen den - im Gegensatz zur Titanic - ziemlich erfolgreichen Kabarettisten Dieter Nuhr. Der spottet als beinahe Einziger seiner Zunft regelmäßig auch über gewisse Ausübungen der Religion des Friedens.

Um ihre Ahnungslosigkeit über die Titanic unter Beweis zu stellen, riefen gestern diverse Blätter und Sender bei den Frankfurter Spaßgesellen an. Ob diese sich jetzt auch in Gefahr fühlten, wollte man wissen. Was sehr lustig war, denn ebenso gut hätte man einen Hartz IV-Empfänger fragen können, ob er sich von den neuen Gesetzen gegen Geldwäsche bedroht fühlt. Oder einen Menschen ohne Führerschein dazu interviewen können, wie empfindlich ihn die PKW-Maut treffen wird.

Der Titanic-Chefredakteur, die unverhoffte Aufmerksamkeit nutzend, machte sich kerzengerade. Dem Branchendienst „Meedia“ verriet er zum Beispiel, „keine Angst“ zu haben. Im Gegenteil, man wolle dem Wahnsinn die Stirn bieten: „Ich möchte, dass sich unsere Haltung nicht ändert, dass wir Relevantes und Witziges in Beiträge fassen und dabei wie bisher standhaft bleiben.“ Das hörte sich derart sperrholzdämlich an, dass man es fast für gelungene Satire hätte halten können.

Aber der heutigen Titanic eine solche zu unterstellen, ist möglicherweise denn doch ein bisschen abwegig.

Wolfgang Röhl, die Achse des Guten»


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