Wolffsohn contra Kinet
Der Nationalstaat ist tot, es lebe die Föderation!
Michael Wolffsohn, 9. 5.2015/Einführung in sei neues Buch
Der Gedanke vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ führte im 19. und 20. Jahrhundert zur Bildung von „Nationalstaaten“, und diese sind, so Wolffsohn, ein Kunstprodukt:
Deutsche leben in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich (Ergänzung: in Belgien, in Luxemburg, in Norditalien),
Franzosen leben in Frankreich, in Belgien, in der Schweiz, und in Frankreich leben Bretonen, Basken und Elsässer,
in Großbritannien herrschen Engländer über Schotten, Waliser und Iren. Und dergleichen mehr.
Unter Berufung auf das nationale Selbstbestimmungsrecht wurden im 20. Jahrhundert Staaten geschaffen, die kaum überlebensfähig sind. Um nur einige zu nennen: Das Kosovo, das sich auf keine staatliche Tradition berufen kann, Makedonien, das sich aus Albanern und Bulgaren zusammensetzt und historisch gesehen kein slawischer, sondern ein griechisches Kulturland war. Die winzigen Baltischen Staaten, von denen aus die gefährliche Bundeswehr (O-Ton Wolffsohn) nun Russland bedroht….
Nationalstaaten neigen dazu, Minderheiten zu unterdrücken, wie es früher die feudalen Herrscher taten.
Für die Bildung eines Staatswesens gibt es sechs verschiedene Wege (gute und schlechte):
1. Dominanz der Gruppe A über die Gruppen B,C,D.
Beispiel: Tschechoslowakei, in der die Tschechen über Slowaken und Deutsche herrschten. Jugoslawien (KSK + SFRJ), dominiert von Serben.
Diese Staaten zerfielen, als der Druck, der sie zusammenhielt, nachließ.
2. Diktatur:
Diktaturen funktionieren nur über einen begrenzten Zeitraum, weil sie wirtschaftlich ineffizient sind.
3. Bürgerkriege, zwischenstaatliche Kriege:
Bosnien-Herzegowina wurde als Ergebnis eines Krieges geschaffen. Es wird keinen Bestand haben.
4. Ethnische Säuberung:
Die in der Antike vertriebenen Juden kehren heute zurück, die Palästinenser zahlen gewissermaßen die Rechnung für die römische Politik.
Die Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern schwächte die diese Länder, denn die Juden gehörten dort zur Elite. Die Vertreibung der Araber aus Palästina führte ebenfalls zu neuen Problemen und ist auch heute keine Option.
Die Ermordung der Juden unter Hitler, aber auch unter Stalin war ein kultureller Selbstmord.
Die Vertreibung der Armenier brachte der Türkei keinen Frieden.
Ganz abgesehen davon, dass ethnische Säuberungen ethisch nicht vertretbar sind.
5. Siedlungspolitik:
Diese gibt es nicht nur im Westjordanland. Die Völkerwanderung der ausgehenden Antike war „Siedlungspolitik“. Russen haben Gebiete besiedelt, die nicht zu ihrem historischen Territorium gehörten. Die Chinesen besiedeln Tibet. Die Deutschen kolonisierten im Mittelalter den Osten.
Die Liste lässt sich endlos fortsetzen.
Das Ergebnis ist entweder immer eine Mischgesellschaft, oder eine Gesellschaft, in der die ursprüngliche Mehrheit zur Minderheit wird. Deshalb bleibt der Nationalstaat eine Fiktion. Er bricht entweder auseinander oder die Minderheit bleibt ein Unsicherheitsfaktor.
6. Ein friedlicher Lösungsansatz könnte der Föderative Staat sein. Nur er kann das Machtgleichgewicht garantieren. Die einzelnen durch Sprache, Religion oder Tradition definierten Gruppen brauchen eigene Regeln. In Europa schließt das zum Beispiel Sonderregeln für Muslime mit ein. Denn die derzeitige Situation ist unhaltbar. In Frankreich gibt es beispielsweise rund 100 Schariagerichte, die sich jeder staatlichen Kontrolle entziehen. Auch Deutschland entwickelt sich in diese Richtung. Parallelgesellschaften sind gefährlich.
Als Beispiel für funktionierende föderative Staaten nannte Wolffsohn die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, in gewissem Masse auch die Bundesrepublik. Die USA bezeichnen sich längst nicht mehr als „Melting Pott“, sondern gestehen den einzelnen ethischen Gruppen ihre Eigenständigkeit zu.
Ein Umdenken ist auch in Europa notwendig.
Diskussion:
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Eine Anhängerin von Todi findet, dass es zu viele Waffen gibt, dass es heißt „Du sollst nicht töten“, dass Todi das auch sagt.
Wolffsohn findet, dass sie Recht hat. Auch seiner Meinung nach wäre es viel besser, wenn man die Konflikte in Syrien, im Irak, im Jemen und in Libyen ohne Waffen regeln könnte.
Ein Herr im schwarzen Anzug: Föderalismus ist sich gut, aber Jesus Christus hat gesagt, liebt euch usw., und wenn jeder bei sich selbst anfangen würde, dann brauchten wir das alles gar nicht.
Wolffsohn ist einverstanden. Auch ihm gefällt die Bergpredigt. Dumm ist nur, dass Jesus auch gesagt hat, „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Deshalb kann man keine Politik mit ihm machen.
Und ich: Jugoslawien! Föderalismus mit weitreichender Autonomie. Gescheitert.
Wolffsohn erwischt mich kalt. Es gab einmal eine Periode, da lehnte man den konsumgeilen unsozialen Kapitalismus ab. Aber das stalinistische System gefiel dann auch nicht so recht. Also dachte man, Tito mit seiner Arbeiterselbstverwaltung, das wäre doch eine Alternative. Dumm gelaufen. Denn wo es nur eine einzige Partei gibt, herrscht kein Föderalismus. Peng.
Frage: Lösung für Palästina?
Wolffsohn: Lesen Sie mein Buch!
Die übrigen Beiträge waren weniger interessant und Herr Wolffsohn musste zum Airport.