Leipziger Volkszeitung: Honderich 20.10.
Philosophie unter Polizeischutz
von Thomas Mayer
Leipzig, 20. Oktober 2001. Die Polizei
positioniert sich vorm Hörsaal 19. Der Auftakt zur
neuen universitären Veranstaltungsreihe der
"Sonntagsgespräche" verläuft mehr als brisant. Die
Macher, allen voran Georg Meggle, Professor für
Anthropologie und Kognitionswissenschaft der
Leipziger Universität, wussten, worauf sie sich
einließen. Sein Premieren-Referent, der
Kanada-Brite Ted Honderich, zählt schließlich zu
den derzeit umstrittensten Philosophen weltweit.
In seinem Buch "Nach dem Terror" vertritt er die
These, es gebe ein moralisches Recht auf
Terrorismus. Sein Pamphlet erschien bei Suhrkamp,
löste eine Welle des Protests aus und wurde nicht
wieder aufgelegt.
Ted Honderichs Gastspiel in Leipzig wird somit zur
kleinen Sensation. Der Mut der Alma Mater, ihn
einzuladen, ist in der Tat bemerkenswert.
Organisator und Referent haben es schwer, sich
gegen nicht wenige Unruhestifter im vollbesetzten
Hörsaal 19 durchzusetzen. Zum Glück folgt aber die
Polizei nicht der Aufforderung Meggles,
Demonstranten mit ihrem Transparent von der Bühne
entfernen zu lassen. Ein um Sachlichkeit bemühter
Student mahnt noch rechtzeitig zur Besonnenheit.
An eine seriöse Diskussion ist während der
folgenden 90 Minuten nicht zu denken. Honderich
zeigt Gelassenheit gegenüber den nicht still zu
bekommenden Krakeelern, er spricht ruhig: "Der
Kern unserer Ethik ist das Prinzip: Verhindere
beziehungsweise reduziere unnötiges Leid. Manchmal
ist das nur durch Anwendung von Gewalt möglich.
Dann kann Gewalt moralisch erlaubt, ja geboten
sein. Wenn diese Gewalt nur in Form von
Terrorismus ihr humanitäres Ziel erreichen kann,
kann auch Terrorismus moralisch erlaubt sein. Dies
ist derzeit beim palästinensischem Terrorismus der
Fall." Georg Meggle erwidert, unterscheidet in
"schwachen Terrorismus", der sich, von den
Unterdrückten ausgeübt, gegen die Unterdrücker,
und "starken Terrorismus", der sich direkt gegen
Unschuldige richtet. Meggle folgt Honderich in
seiner Grundaussage nicht.
Immer wieder kommt es zu tumultartigen Szenen. So
sind auch die Meinungen nach der Premiere der
Sonntagsgespräche geteilt. Günter Wartenberg,
Dekan der Theologischen Fakultät, hatte vorab "ein
ungutes Gefühl", ist danach froh, dass der Vortrag
"ohne noch größere Probleme" über die Bühne ging.
"Eine Universität muss sich solchen Debatten
stellen. Nur schade, dass in sehr aufgeheizter und
oft unsachlicher Atmosphäre dies kaum möglich
war." Honderichs These vermag er freilich in
keiner Weise zu folgen.
"Die Entscheidung für Honderich war richtig", sagt
überzeugt Gerhardt Wolff, Vorsitzender des
Uni-Förderkreises, der sich vor allem für die
neuen "Sonntagsgespräche" stark gemacht hatte.
"Eine Uni muss so einen Disput aushalten." Ted
Honderich wird übrigens auch über Leipzig hinaus
weiter in den Schlagzeilen bleiben. Denn der
Metzler-Verlag bringt sein "verbotenes" Buch Ende
des Jahres neu auf den Markt.