Joffe in der Zeit

hans ze beeman, Donnerstag, 13. November 2003, 12:37 (vor 7856 Tagen)

http://www.zeit.de/2003/47/01_____Leiter_1

"Die weniger gute Nachricht besteht aus einem sehr
deutschen Teil und einem Phänomen, das sich
inzwischen quer durch die Welt frisst. Der
deutsche Teil: Die Affäre Hohmann steht für ein
schon jahrzehntealtes Symptom. Das Motiv ist nicht
Judenhass, sondern Entschuldung. Der israelische
Psychoanalytiker Zvi Rex hatte einst gewitzelt:
»Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie
verzeihen.« Damit wollte er sagen, die Juden seien
lebende Denkmäler deutscher Schuld. Und
Schuldgefühle wird man am besten los, indem man
das eigene schlechte Gewissen auf andere
projiziert: Die Juden sind an ihrem eigenen
Unglück und dem anderer schuld. Auf nichts anderes
läuft Hohmanns Rede vom »Tätervolk« hinaus. Sind
sie´s, dann stehen die Deutschen nicht mehr ganz
so befleckt in der Weltgeschichte herum.

Solche Projektionen hören aber nicht bei den Juden
Europas auf, sondern reichen seit mindestens einem
Vierteljahrhundert bis nach Israel. Wir wollen
hier nicht über Kritik rechten: an der Besatzung,
dem Zaun, den zivilen »Nebenschäden« des
Anti-Terror-Krieges - alles legitime Einwände. In
den tieferen Schichten der Israel-Kritik tauchen
aber hässliche alte Bekannte auf, die ihre
Verwandtschaft mit dem klassischen Antisemitismus
- Stereotypisierung, Dämonisierung, Denunzierung -
nicht verleugnen können.

Was ist der Unterschied? Vorweg: In Deutschland
gibt es nur noch zwei Tabus, Judenhass und
Kinderschändung. Was aber unterdrückt wird, drängt
irgendwann wieder nach oben, etwa in der beliebten
Formel: »Das wird man doch wohl mal sagen dürfen.«
Deshalb ist Israel-Kritik nicht immer bloß Kritik.
Nehmen wir einen Satz wie: »Wer nur Bomben, aber
keinen Staat offeriert, wird den Terror nie
beenden.« Solche Kritik ist nicht nur legitim,
sondern auch richtig. Wird den Israelis indes
unterstellt, dass sie »wie Nazis« auftreten (ein
vertrauter Topos, links wie rechts) oder einen
»Vernichtungsfeldzug« (Norbert Blüm) gegen die
Palästinenser führen, dann geht es nicht um
Gerechtigkeit, sondern um Entschuldung à la
Hohmann: Seht her, die Nachfahren unserer Opfer
sind so gemein wie unsere Vorväter. Wenn die sich
so aufführen, waren die Deutschen nicht die
einzigen Menschheitsverbrecher. Wiegen wir also
auf, und rechnen wir ab, auf jeden Fall dürfen
Juden nicht mehr mit dem Finger auf uns zeigen."


Wer war es noch, der den Satz prägte: "Today,
Israel is the world´s Jew?"

Joffe in der Zeit

nina, Donnerstag, 13. November 2003, 12:48 (vor 7856 Tagen) @ hans ze beeman

Danke für den link und auch für dein kommentar.
Ich denke das ist die richtige art damit
umzugehen. Sachlich, nüchtern, weder blauäugig
noch zu suspicious.

Bis bald.

Joffe in der Zeit

Smadar, Donnerstag, 13. November 2003, 19:08 (vor 7855 Tagen) @ hans ze beeman

Guter Beitrag, obwohl man die Thesen - gerade in
diesem Forum - schon öfter gehört hat. Dennoch
oder gerade deshalb gut.

Wir wissen ja, dass man Vorurteilen nicht mit
Information und Aufklärung beikommen kann. Da aber
die wenigsten Menschen autonom über ihre
Vorurteile entscheiden, könnte vielleicht einfach
die geballte Macht der Gegenposition etwas ändern?


Eine Lüge wird durch häufige Wiederholung nicht
wahrer - das hört man oft. Dennoch werden Lügen
durch Wiederholung glaubwürdiger. Vielleicht haben
wir ja Glück und das selbe Prinzip trifft auch auf
die Wahrheit zu?

Joffe in der Zeit

hans ze beeman, Donnerstag, 13. November 2003, 20:44 (vor 7855 Tagen) @ Smadar

Ich fand den Beitrag von Herrn Joffe extrem gut,
besser noch als das Dossier in der Zeit, das auch
zum Thema Antisemitismus ist.

Ich stimme mit Herrn Broder nicht 100%ig überein,
dass antisemitische Vorurteile überhaupt nicht
durch Information reduziert werden können. Ich
habe die Erfahrung gemacht, dass dies zumindest
teilweise funktioniert (natürlich nicht bei
hardcore-Antisemiten, die diese Attitüde zum
zentralen Pfeiler ihrer Existenz erkoren haben).

Ich hatte mir schon am ersten Tag nach Hohmann
gedacht, dass aus dem ganzen Affentheater auch
teilweise etwas gutes entspringen könnte - eine
(in regelmäßigen Abständen) notwendige
Info-Offensive, Diskussion zum Thema. Die
Geschichtslosigkeit und das bodenlose Unwissen
vieler Deutscher zum Thema ist schon erschreckend.

Natürlich wird das nicht alle Antisemiten
bekehren, aber es rüttelt mal wieder etwas am "Wir
sind wieder wer, souverän gegen Krieg"-Geseier der
völlig planlosen.

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