Antiamerikanische Renaissance

NN, Donnerstag, 11. Dezember 2014, 22:13 (vor 3807 Tagen) @ Divara

Liebe Divara,

du "kennst" DOCH einen Menschen, der Putin mag. Mich!

Ich habe auf Wunsch eines anderen Alex ("unser" Alex weiß, wen ich meine) diese fb-Seite eingerichtet: https://www.facebook.com/wladimir.putin.fanseite .

Was mich an der für uns Deutsche historisch fragwürdigen "Ukrainekrise"
https://www.facebook.com/notes/wladimir-putin/der-traditionelle-rapport-zwischen-ukrain...
https://www.facebook.com/notes/wladimir-putin/ukraine-sofort-zug%C3%A4nliches-material-...
aber auch stört, ist das hemmungslose Amerika-bashing der (relativ wenigen) Putinfreunde

Ich habe hier darüber geschrieben:
http://morefromtheeditrix.blogspot.de/2014/12/das-ist-populismus.html

Wäre doch eine Diskussion wert, oder?


Ja, diese Dinge sind mir eigentlich bekannt. In der Ukraine wurde die Deutschen Truppen als Befreier begrüßt. Estland veranstaltet noch heute Gedenkfeiern für ehemalige Mitglieder der Waffen-SS, zahnlose krumme Opas, die längst ins Grab gehören. Für Münsteraner Juden war Riga die letzte Station vor dem Tod.
(Aber Kollaboratuere gab es auch in Frankreich, und zwar in beachtlicher Zahl.)


Aus einem längeren Text des Historikers Timothy Snyder, dessen Lektüre ich komplett empfehlen möchte:

Die politische Kollaboration und der Aufstand ukrainischer Nationalisten stellten letztlich in der Geschichte der deutschen Okkupation nur ein Element von untergeordneter Bedeutung dar. Infolge des Krieges wurden auf dem Gebiet der heutigen Ukraine etwa sechs Millionen Menschen getötet, darunter etwa 1,5 Millionen Juden. Die Deutschen erprobten ihre Techniken der Massenvernichtung in Kamenez Podolsk und Babyn Jar, wo mehr als zwanzigtausend bzw. dreißigtausend Juden in Massenerschießungen ermordet wurden. In der gesamten besetzten sowjetischen Ukraine kollaborierten Einheimische mit den Deutschen, wie sie es auch in der besetzten Sowjetunion und im ganzen besetzten Europa taten.

Aber in der Ukraine wurden sehr viel mehr Menschen von den Deutschen ermordet, als mit ihnen kollaborierten, und das gilt für kein anderes besetztes Land in Westeuropa. Deshalb kämpften sehr viel mehr Menschen aus der Ukraine gegen die Deutschen als auf der Seite der Deutschen, und auch das gilt für kein anderes besetztes westeuropäisches Land. Die große Mehrheit der Ukrainer, die im Krieg kämpften, tat dies in der Uniform der Roten Armee. Im Kampf gegen die Wehrmacht kamen mehr Ukrainer ums Leben als amerikanische, britische und französische Soldaten zusammengenommen. In Deutschland werden diese Tatsachen nicht gesehen, weil die Rote Armee fälschlich als russische Armee angesehen wird – eine Gleichsetzung, um die sich auch die Propaganda im heutigen Russland bemüht. Wenn die Rote Armee eine russische Armee ist, müssen die Ukrainer Feinde gewesen sein. Diese Denkweise erfand Stalin selbst Ende des Krieges. Die Idee des Großen Vaterländischen Krieges diente drei Zielen: Sie ließ die Handlung 1941 statt 1939 beginnen, so dass das deutsch-sowjetische Bündnis in Vergessenheit geriet; sie stellte Russland ins Zentrum des Geschehens, obwohl die Ukraine in weitaus höherem Maße im Zentrum des Krieges stand; und sie ignorierte vollkommen das Leid der Juden.

Das heutige politische Gedächtnis wird weitaus stärker von der Nachkriegspropaganda geprägt als von der Erfahrung des Krieges. Keiner der heutigen Machthaber erinnert sich noch an den Zweiten Weltkrieg, auch wenn manche führenden russischen Politiker die Geschichtsversion zu glauben scheinen, die man sie als Kind gelehrt hat. Die gegenwärtigen politischen Führer Russlands sind Kinder der 1970er Jahre und damit des Breschnew’schen Kults des Krieges. Der Große Vaterländische Krieg wurde zu einer Sache der Russen, ohne Berücksichtigung der Ukrainer und Juden. Die Juden litten mehr als jede andere sowjetische Bevölkerungsgruppe, aber der Holocaust als solcher hatte keinen Platz in der sowjetischen Geschichte. Er erschien allenfalls in der antiwestlichen Propaganda, in der man das Leid der Juden gänzlich ukrainischen und anderen Nationalisten in die Schuhe schob – Menschen, die in Gebieten lebten, die Stalin im Krieg als Hitlers Verbündeter erobert hatte, und Menschen, die Widerstand gegen die Sowjetmacht geleistet hatten, als die 1945 zurückkehrte. An diese Tradition knüpfen die russischen Propagandisten in der gegenwärtigen Ukraine-Krise an: vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber dem Holocaust, soweit sie ihn nicht als politisches Instrument zur Manipulation der Menschen im Westen benutzen können.

In den 1970er Jahren wurde die Sowjetunion russifiziert, und zwar auf eine ganz spezielle Weise. Man gelangte zu dem ideologischen Schluss, dass nur innerhalb der Sowjetunion selbst, nicht aber innerhalb der einzelnen Nationen Klassen existierten. So brauchte die Sowjetunion nur eine einzige denkende Klasse und nicht mehrere nationale Klassen dieser Art. In der Folge wurde die ukrainische Sprache aus den Schulen und insbesondere aus der Höheren Bildung verbannt. Sie behielt ihre Bedeutung als eine Sprache niederer und paradoxerweise zugleich sehr hoher Kultur, denn damals bestritt in der Sowjetunion niemand die Existenz einer eigenständigen ukrainischen Tradition in Kunst und Geisteswissenschaften.

http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/ukraine-putins-projekt-12893812.html?p...


Daneben halte ich es für angebracht, die Wahlergebnisse der echten ukrainischen Faschisten, "Swoboda" und "Rechter Sektor", mal konkret in Augenschein zu nehmen, um sich der grotesken Übertreibungen der russischen Propaganda und ihrer westlichen Lakaien bewusster zu werden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_der_Ukraine_2014

Was ist heute? Warum ersetzt mein Verstand das Wort "Ukraine-Krise" immer durch "Krieg-in-Sicht-Krise"?

Das kann ich nicht genau sagen. Jedenfalls lässt Wladimir Putin im Osten der Ukraine Krieg führen; ohne die tatkräftige Hilfe der russischen Armee wären die Separatisten, die häufig russische Staatsbürger sind, geliefert und der Krieg schon zu ende.

Die Waffenhilfe westlicher Staaten für die ukrainische Armee hält sich dagegen in sehr engen Grenzen. Unter einem Republikaner als amerikanischen Präsidenten wäre dies wahrscheinlich anders.

Was will eine Westukraine, die nicht lebensfähig ist, in einer völlig maroden EU?[/color]

Die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Westukraine und auch große Teile der Bevölkerung in der Ostukraine wollen zuallererst weg von der Oberhoheit / der Einflusssphäre Moskaus.

Und die EU ist nach ukrainischen Maßstäben alles andere als völlig marode.

Als Schaufenster in den Westen dient vielen Ukrainern vor allem unser gemeinsames Nachbarland Polen. Was die Polen nach Fall des Eisernen Vorhangs für Deutschland sind bzw. waren, sind die Ukrainer für die Polen.


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