Wissenschaft

Divara @, Samstag, 04. April 2015, 19:29 (vor 3693 Tagen) @ Divara

Ein anderes Thema:

Ich greife einfach willkürlich Schlagwörter heraus, zu denen derzeit jeder gern etwas zu sagen hat, und wenn alle das sagen, muss es ja stimmen.

Der Islam, heißt es, hat die Trennung von Religion und Staat noch nicht vollzogen. Im Westen sei das die entscheidende Leistung der Aufklärung gewesen. Aufklärung (selber denken, nicht mehr glauben) muss her und alles wird gut.

Leider stimmt das so nicht.

Die Trennung von Kirche und Staat war im christlichen Europa bereits im Mittelalter angelegt. Der Konflikt zwischen Staat und Kirche hat eine Jahrhunderte alte Geschichte. Die Aufklärung hat sie nur beschleunigt und den Staat der Kirche vorgezogen. Aber letztlich setzte sie nur eine lange Tradition fort.

Im Mittelalter gab es immer die zwei Mächte, die einander gegenüberstanden: der Kaiser und der Papst. Beide rangen um die jeweils höhere Autorität – was aber bedeutet, dass keine der beiden Mächte unangefochten war.

Der Papst konnte dem Kaiser sagen: Durch mich, den Stellvertreter Christi auf Erden, wird deine Macht legitimiert. Wenn ich dich exkommuniziere, sind alle deine Vasallen von ihrem Treueeid auf dich entbunden und du bist ganz schnell allein zu Haus.

Der Kaiser konnte antworten: Mein Titel bedeutet, dass ich Schutzherr der Kirche bin. Was wärest du ohne meine militärische Macht? Eine Revolte des römischen Stadtadels, ein Konflikt mit dem König von Frankreich, ein muslimischer Angriff von Süden, und du bist ganz schnell allein zu Haus.

Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war der Investiturstreit an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert, den der Papst für sich entscheiden konnte. Nur ein Jahrhundert später wendete sich das Blatt wieder, als Frankreich zur mächtigsten Herrschaft in Europa aufstieg und König Philipp IV. nicht bereit war, die Herrschaft des Papstes über die staatliche Macht anzuerkennen. Die Päpste gerieten in Abhängigkeit von der französischen Krone und residierten fast 70 Jahre in Avignon. Der Verlust an Autorität konnte nicht wieder aufgeholt werden.

Das soll als Beispiel genügen um zu zeigen: Die Macht der Kirche über den Staat war nie unangefochten, wie uns die Bewunderer der Aufklärung weismachen wollen. Die Dualität ist der Hintergrund dafür, dass im christlich geprägten Abendland die Trennung von Staat und Kirche möglich wurde (in den einzelnen Ländern bisher mit unterschiedlicher Konsequenz vollzogen).

Seltsamerweise sind es die fortschrittlicher angesehenen Protestanten, die versucht haben, diese Dualität aufzuheben mit Luthers Satz: Alle Obrigkeit ist von Gott. Im Vergleich zur katholischen Kirche war das ein Rückschritt, der sich fatal bis ins 20. Jahrhundert ausgewirkt hat.


(Nachtrag: Das größere Verdienst der Aufklärung liegt mMn darin, das sie das Konzept der Gewaltenteilung entwickelt hat. Das war wirklich neu, und das hat Demokratie erst möglich gemacht)


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