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Das fröhliche Thing

The Editrix ⌂ @, Sonntag, 20. September 2015, 12:58 (vor 3523 Tagen) @ Divara

Habe deinen Bericht mit Vergnügen gelesen. Du solltest Kurzgeschichten schreiben. Ehrlich jetzt!

And fuck the Thinggraf!

Das Große Thing war eher unspektakulär, spannend war nur das Vorfeld.
Hier ein kurzes Protokoll:
Gegen 19.30 Uhr war man am Thingplatz versammelt, im Halbkreis die Edlen, vor sich den Thinggraf, links neben ihm die Vizegräfin, die in den vier Jahren ihres Amtes höchstens fünf Sätze gesprochen hat, und rechts ein Schreib-und Lesekundiger in fortgeschrittenem Alter, der jenseits der 75 seine Liebe zum Iran, zur Burka entdeckte und Peter Münch für einen missverstandenen, Aufrechten hält, der von bösartigen Philosemiten verleumdet wird. So saßen sie da wie drei von einem Feuerwerk der Volksmusik übriggebliebene tote Hosen. Sie werden mit ihrer zurückhaltenden Art besonders die Jugend faszinieren, was ihr erklärtes Ziel ist. (Eine vierte Person unterschied sich; ich werde sie deshalb fairerweise überschlagen.)

Pünktlich als der Mond im 8. Hause stand, konnte das Thing beginnen. Es begann aber nicht. Der Thinggraf war sichtlich nervös, lief rein und raus, mal länger mal kürzer, Irritationen kamen auf, so oft kann man doch nicht Pipi machen wollen; dann klärte sich das Problem: seine mütterliche Frau mit dem großen weichen Busen erschien, nahm Platz und es konnte beginnen. Endlich.

Zu klären war, warum eine neue Tagesordnung ausgehändigt werden musste. Ein Tagesordnungspunkt hatte gestrichen werden müssen. Die Edle Divara hatte sich geweigert, den Dank der Thinggrafen für geleistete Arbeit entgegenzunehmen, oder, wie er es ausdrückte, „verabschiedet zu werden“. Allein der Gedanke verursachte, so die Edle Divara, Gänsehaut.

Danach lief alles vorschriftsmäßig ab. Es war sehr langweilig und ich nahm mein Handy, um mit einer Freundin zu chatten.

Schließlich wurde nach dem üblichen Procedere der Wahlleiter ernannt und der Thinggraf schlug sich selbst zur Wiederwahl vor. Gibt es noch jemanden, der sich selbst zur Wahl vorschlägt? fragte der Wahlleiter. Er sah mich durchdringend an, ebenso taten es die mütterlich Gattin und der Rest der toten Hosen. Ich ließ mein Handy sinken, lächelte freundlich, und wir konnten zur Wahl schreiten.

Hätten doch nicht ein paar Leute gedacht, sie müssten dem Thinggrafen noch dies und jenes mit auf den Weg geben, wäre es richtig schön gewesen. Warum er eigentlich das Land seiner Träume noch nie besucht habe, wollte jemand wissen. Der Thinggraf kam ins Stottern. Von schweren Krankheiten war die Rede, von Intifada, von unwilliger Ehefrau, und widrigen Umständen, aber er würde es ganz bald nachholen, und er habe doch so viele Freunde dort. (Woher?) Warum er die Veranstaltungen des Gaus fast nie besuche? Der Thinggraf bestritt. Er verfing sich wieder in den Unbilden der deutschen Sprache.
Nun gut, er wurde gewählt. Zieht man die Stimmen seiner toten Hosen und die seiner Gattin ab, besaß er keine Mehrheit. Aber mit ihnen war’s dann demokratisch gesichert. Glücklich sah er nicht aus. Es scheint, er hatte mit der Selbstkandidatur der ehrgeizigen Divara gerechnet, und er hätte sie dann bestimmt haushoch schlagen können. Nun war er mit kleiner Mehrheit gewählt, und wohl nur, weil es keinen anderen gab. Er sah verbeult und verknittert aus. Die Wangen hochrot, die Nase eher weiß.

Nach der Wahl packte ich das Handy ein, ebenso den dicken Ordner mit allerlei diskriminierendem Material (für den Notfall), zog den Mantel an und verließ mit drei anderen die Thingstätte. Der Rest ging mich nichts mehr an.
Das war’s.
Im zweiten Teil erzähle ich den etwas spannungsreicheren Nachmittag zuvor. Das wird allerdings ziemlich schnell gehen.

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ODERINT DUM METUANT
(Caligula)


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