Arnold Gehlen { 1904 - 1976 }

NN, Montag, 09. Mai 2016, 18:19 (vor 3290 Tagen) @ Albert Schweizer

Genossen,

Nächtens las ich im 'Spiegel' ( Nr. 16/2016, S.116 ff ) unter dem Titel: "Das Reich der Lüge",
einen hübschen Aufsatz ( Autor: Romain Leick ) über die Denkweise / Haltung des in der Nachkriegszeit höchst umstrittenen Soziologen/Philosophen Arnold Gehlen.
( Nicht zu verwechseln mit 'Reinhard Gehlen', der im 3.Reich Abwehrchef war, später den Aufbau des BND organisierte.)

Dieser erzkonservative Denker Arnold Gehlen beschwor - natürlich vollkommen unzeitgemäß - noch in den 1960/70er Jahren
Die Angst vor dem Untergang durch den aufkommenden Sozialismus, auf der wiederum die Gewaltbereitschaft lauere.


Offenbar greifen zZt mehrere Philosophen wie Peter Sloterdijk nicht nur auf M.Heideggers, sondern vermehrt auch auf A.Gehlens Schriften zurück, wenn sie die Befindlichkeit des Spießbürgers, der "seinen Gefühlen Weltbedeutung zuschreibt", aber auch einen Erklärungsansatz für den rasanten Aufstieg der AfD liefern möchten. Es geht in diesem Sinne um eine theoretische Einordnung, um den Theorie- Überbau.

Spannend zu lesen....... 4 oder 5 Seiten...... und man glaubt sich zurückversetzt in Vorzeiten der Bildungskatastrophe, als Erklärungsansätze nicht platt und oberflächlich waren und exakte Formulierungen noch vorherrschten.
Aber auch in Zeiten, da Nachdenken über bestimmte Themenbereiche 'unmodern' oder mit einem Tabu behaftet war.

Romain Leick ( mir vorher nicht bekannt ) bleibt in der Darstellung im Stil der grauen Vorzeit der 1950er exakt., schleift nicht ( da, wo nicht erforderlich ) die Komplexität und die Kompliziertheit der Quellentexte.
Leider ist der Artikel bei Spiegel-Online nur für Abonnenten lesbar.

( Wenn möglich ) BITTE LESEN !!

https://magazin.spiegel.de/SP/2016/16/144314395/index.html

Schade, dass ecc. nicht mehr mitliest.


Ausserdem ist die vermeitliche Spiessbürgerlichkeit, diese urdeutsche «Angst» vor Untergang und Chaos bei einem Teil der Bevölkerung kein Alleinstellungsmerkmal. In vielen europäischen Staaten gibts den Bodensatz, der sich von Aufpeitschern in die Hysterie schlagen lässt.

Tatsächliche und/oder vermeintliche Spießbürgerlichkeit geht zunächst mal nicht notwendigerweise mit einer (irrationalen) Angst vor dem Untergang einher. D.h.: Wenn die Ordnung des (wie auch immer gearteten oder näher definierten) Spießbürgers gestört wird, muss die Reaktion nicht zwingend Angst sein. Dann stellt sich die Frage, ob und wenn ja, inwieweit der Spießbürger Bodensatz ist / sein kann / war. Bodensatz markiert im politischen Sprachgebrauch jedenfalls zumeist sowas wie Unterschicht (der gemeine Spießer eher nicht). Das ist das eine.

Das andere ist, dass Deutsche - statistisch, versteht sich - im Rahmen der vergleichenden sozialpsychologischen Forschung in der Tat vergleichsweise hohe/höhere Angstwerte aufweisen. Wobei ich die entsprechenden Untersuchungen in diesem Rahmen nicht beibringen kann.

Als politischen Niederschlag derselben kann man das Waldsterben (das dann doch arg relativ war) und oder die in Deutschland vergleichsweise stark verbreitete Angst vor der Atomkraft anführen.

Insoweit ist das Ausmass, der Ton, die Brutalität und die Undifferenziertheit seit jeher ein einzigartiger Ausdruck deutscher Neonazis. Doch Deppen gibts überall.[/b]

Auch @Albert

Wenn ich nur die Überschrift des Artikels und die paar Zeilen darunter lese, bekomme ich einen kleinen Fön. Arnold Gehlen war und ist für deutsche Rechtsintellektuelle / intellektuelle Rechtsradikale (die heute an die AfD angedockt haben oder auch umgekehrt) kein zentraler Autor.

Im ziemlich knapp gehaltenen deutschen Wiki-Artikel finden sich zwar zwei, drei Belege dafür, dass sich Leute aus dem genannten Personenkreis mit Gehlen näher beschäftigt haben (darunter der vor einigen Jahren gestorbene Armin Mohler, der übrigens aus der Schweiz kam). Allerdings gehörte Arnold Gehlen definitiv nicht zu den Autoren der sog. Konservativen Revolution aus der Weimarer Zeit, die für deutsche Rechtsintellektuelle zentral sind. Darunter vor allem Carl Schmitt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Arnold_Gehlen


Auch trifft es zu, dass Gehlen ohne Druck (geschweige denn Not) dem NS-Hochschullehrerbund beigetreten ist und man ihn, politisch betrachtet, einen Reaktionär und/oder radikalen Konservativen nennen kann. Gleichwohl sind große Teile seines Werkes, d.h. vor allem seiner sozialanthropologischen / sozialtheoretischen Schriften recht apolitisch gehalten. Gehlen wurde nicht nur in Deutschland von vielen Soziologen und/oder Sozialanthropologen gelesen und verarbeitet, die jene radikal konservativen Schlüsse, die er aus seiner Lehre zog, nicht mitgemacht haben (darunter z.B. Habermas oder die amerikanischen Sozialtheoretiker Peter Berger und Thomas Luckmann - die Liste ist lang.)

Mit anderen Worten: Größtenteils verfasste Gehlen furztrockenes Zeug, mit dem in der Regel weder der fachfremde Laie, noch der glühende Rechtsintellektuelle viel anfangen konnte. Sozialphilosophische / politische Schriften wie "Die Seele im technischen Zeitalter" oder "Moral und Hypermoral" machen dabei nur einen kleinen Teil seines Werkes aus.

"Moral und Hypermoral" habe ich (neben langen Auszügen seiner Sozialanthropologie bzw. Institutionentheorie) während des Studiums vor Jahren mal quergelesen. Dass hier jemand schreibt, der stockkonservativ / reaktionär und vor allem: Kulturpessimist ist, habe ich gemerkt. Doch ich müsste mich schon sehr täuschen bzw. falsch erinnern, wenn etwa diese Schrift wirklich für irgendeine AfD-Agitation taugte.

Abgesehen davon hat sich Gehlen (ganz anders als etwa Carl Schmitt und andere "Konservative Revolutionäre") meines Wissens nach nie antisemitisch geäußert. Im Wiki-Artikel steht dasselbe. Wenn er es doch getan hätte, wäre es wahrscheinlich bekannt bzw. spätestens mit dem Ende der 60er-Jahre bekannt geworden.

Im Wiki-Artikel steht, dass Adorno versucht hätte, eine Berufung Gehlens zu verhindern (die Karl Löwith https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_L%C3%B6with angeblich befürwortet hätte). Dazu findet sich aber keine Fußnote.

Fest steht, dass mehrere Diskussionen zwischen Adorno und Gehlen erhalten sind, die sich, worauf im Wiki-Artikel richtigerweise hingewiesen wird, in Bezug auf Kulturpessimismus ähnelten.

Diese Diskussionen stehen auf Youtube, u.a. hier ab 0:50:

https://www.youtube.com/watch?v=mWklSE08aCw


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