Geschichten aus dem Paradies

Divara @, Samstag, 06. September 2014, 19:41 (vor 4116 Tagen) @ Divara

Bei diesem Bild soll es natürlich nicht bleiben.
Es gibt auch post-paradiesische Zeiten.

2005 oder 2006 war ich zum letzten Mal in Dubrovnik. Die Altstadt war inzwischen wieder aufgeräumt. Viele Häuser hatten ganz neu gedeckt werden müssen. Schaute man von oben, etwa von der Stadtmauer über das Dächergewirr, so machte es den Eindruck eines Flickenteppichs.

Die Boutiquen mit den selbstgeschneiderten Kleidern gab es nicht mehr. Auch die Volkskunst war verschwunden. Stattdessen waren Esprit, Zara und Benetton eingezogen. Die spottbilligen superbequemen Mokassins waren verschwunden, jetzt wurden Highheels und Flipflops angeboten. Alles in allem: das Angebot war langweiliger, aber die Dubrovniker verdienten gutes Geld damit. Und das soll ihnen gegönnt sein, nachdem sie so lange auf so vieles verzichten mussten.
Überall gab es Diskotheken und teure Restaurants.
Glocken durften wieder läuten, und mache zweckentfremdete Kapelle war wieder als, wofür sie vorgesehen war.
Eine schöne Stadt war es trotzdem – nur vielleicht nicht mehr so exotisch.
Besonders positiv: Man hatte ein neues Krankenhaus gebaut. Das Hospital aus sozialistischen Zeiten hätte man bei uns keinem Asylanten als Unterkunft angeboten. Wer unbedingt operiert werden wollte, musste sein Verbandszeug selbst mitbringen. Das wenigstens war vorbei.

Entfernte man sich ein wenig von dem Kern der Stadt sah man anderes. Das Hotel, an dessen Strand ich einst die Iraker so tief beleidigt hatte, war nur noch ein riesiger Haufen zerschlagenes Beton. Davor stand noch ein kleines völlig ausgebranntes Auto – man fragte sich, ob sich der Fahrer noch rechtzeitig in Sicherheit hatte bringen können.
Ein weiteres Hotel, das zu den schönsten der Stadt gehört hatte, war zwar äußerlich intakt aber unbewohnbar. Man hatte dort zwei, drei Jahrelang Flüchtlinge aus dem Kosovo untergebracht. Nun musste es komplettsaniert werden.

Viele kleine Familienhäuser hatten Schaden genommen. Man hatte ein oder zwei Zimmer notdürftig wieder hergerichtet und baute den Rest nach Feierabend oder am Wochenende in Eigenarbeit wieder auf. Das dauerte natürlich.

Besonders schlecht hatte es die Bewohner einer Neubausiedlung namens Mokošica getroffen. Dort hatte man Wohnkomplexe gebaut, die man bei uns als sozialen Wohnungsbau bezeichnet hätte, aber für die Jugoslawen bedeuteten sie ein Maximum an Komfort. Das Pech: Mokošica lag/liegt am jenseitigen Ufer eines kurzen aber relativ breiten Flusses, Dubrovaćka Rijeka, der nur mehrere Kilometer landeinwärts eine Brücke hatte. Obwohl die Stadt in Sichtweite lag, dauerte die Busfahrt dahin fast eine Stunde. Dann aber bekamen die Bewohner endlich eine eigene Brücke und damit direkten Anschluss an die Stadt.
Diese Brücke hatte man natürlich besonders gern zerstört. Die Bomben hatte sie an der einen Seite aus der Verankerung gerissen und nun hing sie als wirre Ansammlung von Gestänge haltlos im Wasser.

Hinter Dubrovnik erhebt sich ein Hügel, der Berg Srđ (Sergio), früher ein begehrter Aussichtpunkt. Man konnte mit einer Seilbahn hochfahren, und dann am besten zu Fuß wieder hinunterwandern; der Blick über Stadt, Meer, Inseln und Gebirge war atemberaubend.
Dort hatten sich die Serben mit ihren montenegrinischen Verbündeten festgesetzt, und von dort schossen sie auf die Stadt und auf alles, was sich bewegte.
Die Seilbahn gab es nicht mehr, der Berg war Sperrgebiet. Denn jetzt saß dort oben kroatisches Militär und wachte über die Stadt.


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