Wenn ich der Rumsfeld wäre..

GegenGerd, Montag, 12. Mai 2003, 18:42 (vor 7660 Tagen) @ zeus @ bell

Zu Ihren historischen ´Überlegungen´ muß ich mich
dann ja doch wieder einmal auslassen...

(a) Was macht Sie sicher, daß der Krieg früher zu
Ende gewesen wäre? Etwa die Rechnung: Früher
angefangen -> früher aufgehört?

[...]

Den Krieg vorher und von alliierter Seite aus zu
beginnen, hätte den Krieg nicht zwangsläufig
harmloser verlaufen lassen und zudem ein enormes
Rechtfertigungsproblem für die Alliierten mit sich
gebracht, denn wahrscheinlich wären ebenso
Millionen gestorben.

Es wundert mich, daß Sie hier scheinbar sehr
grundlegende Dinge zur NS-Außenpolitik entweder
nicht wissen oder unterschlagen. Denn eigentlich
sollte Ihnen bekannt sein, daß die entscheidenden
deutschen Rüstungsanstrengungen durch den
Vierjahresplan 1936 eingeleitet wurden, und das
sog. Hoßbachprotokoll vom Nov. 1937 beinhaltet,
daß A. H. Deutschland innerhalb von vier Jahren
(also eigentlich erst bis 1941!) kriegsbereit
bekommen wollte. Das bedeutet, daß erst 1936/7 die
Umrüstung von Friedens- auf Kriegswirtschaft, dann
allerdings in massivem Maße, erfolgte und es somit
sehr wohl einen gravierenden Unterschied macht, ob
man die Stärke der Wehrmacht 1938 oder 1939
betrachtet. Nicht umsonst gab es im Zusammenhang
mit der riskanten Tschechoslowakei-Politik H.s
Umsturzpläne und massive Warnungen seitens der
Militärs, weil man einen Krieg zu diesem Zeitpunkt
für fast aussichtslos hielt, was ein Jahr später
nicht mehr der Fall war.
Darüber hinaus wäre das Rechtfertigungsproblem
1938 wohl kein größeres gewesen als 1939, denn daß
Deutschland auch nach München keine Ruhe geben
würde und das Selbstbestimmungsrecht nur
vorgeschoben war, haben auch damals schon genug
kluge Köpfe bemerkt. Hätte man im übrigen München
scheitern lassen, wäre H. genauso als Aggressor
aufgetreten wie ein Jahr später. Und man hätte
sich dann ebenso auf Zusagen zur Sicherheit der
CSR berufen können wie 1939 auf solche gegenüber
Polen.

(b) Woraus schliessen Sie, daß bei schnellerer
Kriegsführung weniger Juden ermordet worden wären?

Hätte man es verhindern können, daß Deutschland so
weit nach Osten vorstößt oder hätte man es von
dort zumindest schnell zurückschlagen können, wäre
es nicht möglich gewesen, das Vernichtungssystem
dort zu errichten. (Es hat ja immerhin bis 1942
gedauert, bevor der Massenmord wirklich
organisiert ablief.) Und in Deutschland selbst
wäre so etwas nicht machbar gewesen, weil man
damit den Rückhalt in der Bevölkerung aufs Spiel
gesetzt hätte.

Positives Gegenargument: Vielleicht hätte man mit
einer konsequenten Abschreckungspolitik - im Stile
des kalten Krieges - etwas erreichen können; dazu
jedoch hätte es der Verbündung aller wichtigen
nicht-deutschen militärischen Mächte bedurft, die
jedoch aus Eigennutz der Nationalstaaten nicht
zustande kam.

Die Abschreckung im Kalten Krieg war zu einem
guten Teil Glückssache, und, wie man an den
Beispielen Berlin- und Kuba-Krise sieht,
keineswegs so unriskant, wie es außer Ihren
Äußerungen anklingt. Darüber hinaus funktioniert
Abschreckung nur, wenn das Gegenüber nicht wild
entschlossen ist, zu expandieren und seine
Gegenüber überhaupt nicht fürchtet. A. H. wollte
ja diesen Krieg und war von den Siegesaussichten
überzeugt. Und wer einen Krieg will, den kann man
wohl kaum damit abschrecken, daß man ihm ggf. mit
eben diesem Krieg, nach dem man trachtet, droht.
Im übrigen etwa mit Hinblick auf das US-Engagement
von ´Eigennutz der Nationalstaaten´ zu sprechen,
während unzählige US-Soldaten ihr Leben lassen
mußten für Auseinandersetzungen in Europa, die die
USA selbst zumindest auf mittlere Sicht nicht
hätten interessieren müssen, da für sie zunächst
keine Gefahr davon ausging, finde ich schon ein
wenig abenteuerlich.
Und zu guter Letzt: Resultat einer erfolgreichen
Abschreckungspolitik, die m. E. aus den genannten
Gründen eh völlig unrealistisch gewesen wäre, wäre
gewesen, daß das NS-Regime die Gelegenheit
erhalten hätte, seine Machtstrukturen zu
verfestigen, die Gesellschaft weiter von ihm
gefährlich scheinenden Personen zu ´reinigen´ und
sich so auf eine Art und Weise zu etablieren, daß
es, wenn auch vielleicht nicht tausend Jahre,
weitaus länger an der Macht geblieben wäre oder
zumindest noch weitaus schwerer zu beseitigen
gewesen wäre, als es so schon der Fall war. Wenn
Sie ein solches Ergebnis als wünschenswert
betrachten, würde ich das einigermaßen
verwunderlich finden.


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