Schreibrechtsreform 1995

Divara @, Mittwoch, 29. Juli 2015, 22:16 (vor 3790 Tagen) @ Oblomow

Mitte der 1990er Jahre fand die letzte große, und wie sich zeigen sollte, "geniale" Schreibrechtsreform statt.

Ich kann es kaum verstehen, wie wenig ich mich damals um die angestrebten Veränderungen "kümmerte",
es lief so nach dem Obelix-Motto ab: 'Die spinnen, die Römer!'
Im Vordergrund standen wohl die Vereinfachungen. Überflüssige Regeln sollten wegfallen.
Ich erinnere noch, man hatte es auf das "ß" abgesehen, es sollte eliminiert werden.
Daß - hinsichtlich Bedeutung - Masse ungleich Maße und Buße ungleich Busse ist, wußte man damals schon.
Wie zum Beispiel diese Probleme durch die Reformer letztlich gelöst wurden, weiß ich bis heute nicht.
Andere wohl auch nicht.
Häufig bin ich irritiert, weil ich mich frage, was meint der junge facebook-User,
was will der Künstler uns sagen?

Meine Spießigkeit zeigt sich heutzutage, wenn ich aufschrecke, weil wieder einmal irgendein Zwanzigjähriger auf den Gebrauch des Dativ 'verzichtet'. Daß der Konjunktiv und das Futur nicht mehr modern ist, daran habe ich mich schon gewöhnt.
Man fährt halt nächste Woche nach Wien und wird nicht fahren. Und nicht nur die Schüler der 8.Klasse schreiben 'wäre" mit 'h'.
Im Morgenfernsehen ( MoMa ? ) berichtet die Moderatorin von der Buchmesse und redet von Pöt Lehmann und Pöt Schröder.
Noch nicht ganz klar im Kopf wundere ich mich über die komischen Vornamen der Künstler, wie kommt's?
Es gibt wohlmeinende Anrufer, die auf das vergessene Trema hinweisen. Die Moderatorin entschuldigt sich, sie habe gelernt, dass oe als ö gesprochen werde. Das sei eine feste Regel, die "schon immer" gegolten habe ............

Barocke Verhältnisse: Jeder schreibt, wie er glaubt schreiben zu müssen.
Dabei bleibt die Klarheit auf der Strecke.
Ich erinnere 1834, als der preußische König die Verordnung herausgab, eine Vererbung des Grundbesitzes könne nur erfolgen, wenn die Schreibweise des Nachnamens (zuvor) beim Amtsgericht zu Protokoll gegeben wurde.
In den Dörfern herrschte der Analphabetismus vor, Nachnamen wurden selten gebraucht und wenn, dann nur auf Zuruf.
Hatte der Steuerbeamte nun Hoffmann oder Hofmann verstanden. Bei Platt und ohne Zähne redet man undeutlich. Ich weiß, wovon ich rede. ;-)

Thür mit dem 'h' finde ich nach wie vor schöner, aber phonetisch auch plausibler. Aber das H blieb schon bei der Schreibrechtsreform 1905 auf der Strecke.

BTW, warum wird - während ich diesen Text hier schreibe - meine 'Schreibrechtsreform' rot unterlegt?
Habe ich einen Fehler gemacht?

In den frühen 1960er Jahren sprachen wir in der Schule über Bemühungen, Kommata-Regelungen zu vereinfachen und die Kleinschreibung zu generalisieren. Wir mußten einen Aufsatz schreiben.

Klar, wir bemühten argumentativ 'Wilhelm Tell':
"Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt."
vs "Der brave Mann denkt an sich, selbst zuletzt."

Oder auch:
ich habe in Berlin liebe genossen. { Namen werden auch bei Kleinschreibung groß geschrieben }

Klar, Klarheit kann man durch eine andere Formulierung auch bei der Kleinschreibung herstellen,
aber die Verwendung von Artikeln wird allmählich auch unmodern.

Man wird alt, die Zeiten entfernen sich von einem. Und nicht wir uns von der Zeit, oder?

https://www.youtube.com/watch?v=5ll8cKiudDA

Vielleicht kehren wir auch nur zu alten Zeiten zurück. Annette von Droste-Hülshoff kannte sich auch nicht wirklich aus, fand aber, für diese Dinge würde ja der Lektor bezahlt. Eine Freundin (Germanistin) von mir betrieb als Alleinunternehmerin ein Schreibbüro für Studenten: Sie sah Examens- und Doktorarbeiten auf Rechtschreibfehler durch.
Warum es heute nicht mehr möglich ist, Rechtschreibung zu erlernen, weiß ich nicht. Irgendetwas scheint da auch methodisch nicht mehr zu stimmen. In fremdsprachlichen Aufsätzchen sind viele Lehrer dazu übergegangen, nur noch den Inhalt zu bewerten. Sonst wären 25% Einser-Abitur in NRW nicht zu erreichen.

Die einzige sinvolle Regelung der Schreibrechtsreform war übrigens die bzgl. des ss und des hübschen ß:
Fuß - Fluss
Gruß - Kuss
Das leuchtet ein, oder?
Der Rest ist Chaos.


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