NSA-Spion-Schutzbund-e.V

FC, Mittwoch, 17. Juli 2013, 14:59 (vor 4322 Tagen) @ Alex

Biermann saß unmittelbar nach seiner Ausbürgerung im Wohnzimmer meiner Eltern
und war komplett neben der Spur.
Er wollte nicht hierbleiben, er wollte zurück.
Er war zutiefst verletzt und das Letzte, was er wollte, war in unserem "Schweinesystem" zu leben.

Und als er dann Ehrenbürger von Berlin wurde, machte er den Bushido, weil er lieber in die DDR zurückgedurft hätte.

http://www.focus.de/politik/deutschland/ehrenbuerger_aid_51774.html

Nein, nein Biermann ist schon so, wie Hacks ihn bereits 1966 in einem Brief an Henning Rischbieter (Chefredakteur der westdeutschen Zeitschrift Theater heute )beschrieb ….

Lieber Herr Rischbieter, mit der Frage nach meinen dramatischen Plänen bringen Sie mich in keine geringe Verlegenheit. Ich bin sehr ehrbar erzogen, und nur gegen starke innere Hemmungen hat mich das Leben gelehrt, mit meinen Taten zu prahlen; mich derjenigen Taten zu rühmen, die ich erst noch zu tun vorhabe, fällt mir, offen gestanden, nicht leicht. Auch habe ich keineswegs eben einen Literaturpreis erhalten, dessen hoher Name meine sämtlichen Werke, geschriebene und ungeschriebene, zu heiligen vermöchte. Wenn ich mich dennoch entschlossen habe, den Vorwurf meiner »deutschen Komödie« ausnahmsweise schon bekanntzumachen, so tue ich es nicht, um vorweg einen Beifall einzuheimsen, der nachher vielleicht ausbleibt. Ich tue es, weil ich der Ermunterung bedarf, die mir nach Kundgabe folgender Andeutungen zweifellos zuteil werden wird.

Held des Lustspiels ist ein deutscher Kleinbürger...

Ich muß Sie, ehe ich fortfahre, bitten, mir keine Abneigung gegen das Kleinbürgertum zu unterstellen. Ich selbst bin ein Kleinbürger, und ich leide weder am Mißfallen an meiner Per-son noch dem an meiner Klasse. So wie – günstigenfalls – die obere Klasse zu leben versteht und– günstigenfalls – die untere zu handeln, versteht sich die Mittelklasse – eben weil ihr diese beiden Fähigkeiten verschlossen sind, und, wohlgemerkt, günstigenfalls – aufs Denken. Es ist kein Zufall, daß just das kleinbürgerliche Deutschland die scharfsinnigste aller Philosophien hervorgebracht hat, die hegelsche, und der Marxismus, die grundlegende Theorie des Kapitalismus und der Revolution, konnte nur in einem Lande erdacht werden, das den einen wie die andere nicht zu machen imstande war. Die Abschweifung ließe sich fortsetzen, aber Abschweifungen haben ihre Grenze.

Ein deutscher Kleinbürger also, und ich will ihn Wolf-Günter nennen. Er ist ein mittelgroßer Mensch, dunkelhaarig, ein Dichter. Er trägt, stelle ich mir vor, einen Schnauzbart von der gemütlichsten Dämonie.

Mein Einfall besteht nun darin, daß beim Bau der Berliner Mauer dieser Wolf-Günter versehentlich mit geteilt wird. Er existiert jetzt in zwei gesonderten Hälften: einer Ost-Hälfte, die ich Wolf nennen würde, und einer West-Hälfte, für die mir dann der Name Günter verbleibt.

Wolf und Günter sind völlig identisch; sie sind ja im Grunde eine Person. Beide haben ein hübsches Talent und ein enormes Geltungsbedürfnis. Ihre Denkweise ist sehr volkstümlich: sie vertreten alle Meinungen, die man nur vertreten kann, und von denen die gegenteilige auch. Sie wissen entzückende Anekdoten, die sie auf flüssige und etwas verwirrte Weise vortragen. Beide endlich haben eine unglückliche Liebe zu einer Kunstgattung: der Dramatik, und beide haben eine Liebe zu demselben wunderschönen Fräulein, die ebenfalls schief geht; für Dinge dieser Art fehlt es ihnen natürlich an Kraft.

Aber der Kern des Stücks ist politisch.

Beide, Wolf und Günter, sind die überzeugtesten Anhänger derjenigen Gesellschaft, in der sie weilen; niemand kann sich fortschrittlicher verhalten als Wolf, wenn er gelegentlich unter die Kapitalisten fällt, und niemand reaktionärer als Günter bei den Kommunisten. Aber man darf nicht vergessen: sie sind Kleinbürger, und halbe. Ihnen fehlt jedes Verständnis für politische Wirklichkeit. Sie sehen nicht ein, daß die deutschen Staaten, der sozialistische wie der kapitalistische, genau so sind, wie sie nach Maßgabe der historischen Lage sein müssen; sie meinen, beide Staaten könnten, wenn sie nur wollten, etwas wolf-günterscher sein. Dieser Irrtum wird verstärkt durch ihr physiologisches Reunifika¬tionsbedürfnis, und so geraten sie, nicht weil sie wollen, in schlechte Gesellschaft und den Ruch der Opposition.
Die Komik der Sache besteht, kurz zu sein, darin, daß mein Held seine Regierung nicht in Ruhe lassen kann. Es zieht ihn zu ihr hin; er muß ihr lästig fallen und sie loben. Immer, wenn er sie wieder recht lobt, geschieht etwas Drolliges; ihm wird die Haustür angezündet, er bekommt Schimpfe vom Innenminister etc.
Natürlich ist für beide Ausfertigungen meines gehälfteten Helden nur ein Schauspieler vorgesehen, und ich verspreche mir alle Effekte einer klassischen Doppelrolle. Höhepunkt ist die Szene, wo Wolf und Günter bei ihrem Staatschef vorsprechen möchten, um ihm ihren Rat anzubieten. Hier wird die illusionistische Vorgabe, als sei der eine Schauspieler zwei Schauspieler, fallen gelassen; den Auftritt schreibe ich simultan. Rechts sitzt der Kanzler, links der Vorsitzende, auf der Mitte der Vorderbühne treibt der Schauspieler seine Lazzi, und seine Sätze gelten zugleich für Wolf und Günter, und er wird, beider Schicksal duldend, von beiden Oberhäuptern in den Hintern getreten.

Ihr geschulter Blick, lieber Herr Rischbieter, nimmt wahr, daß ich hier den in einem Dichterleben einmaligen Glücksfall von einem Stoff gefunden habe. Er hat eine ganz frappante Hauptperson, enthält überhaupt keine Handlung, aber die Chance zu den modernsten dramaturgischen Experimenten, und ist von allerhöchstem nationalen Gewicht. Die nach diesem Bekenntnis fortdauernd auf meine schreibende Hand gerichtete Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wird, so hoffe ich, meine Muskeln unermüdlicher, meine Bewegungen sicherer, meine Schriftzüge ausdrucksvoller machen.

Das Drama steht allen Intendanten für ihre Spielplanvorschauen zur Verfügung.