der semitische antisemit ? teil 1

..., Donnerstag, 26. Juni 2003, 13:58 (vor 7987 Tagen)

"Wir wollen keine Sonderrolle"
Uri Avnery, israelisicher Publizist und
Friedensaktivist, über Antisemitismus und die
Kritik an Israel
Moritz Schwarz

Herr Avnery, in Deutschland ist durch ein
Interview unserer Zeitung mit dem syrischstämmigen
Landtagsabgeordneten Jamal Karsli ein bereits
schwelender Streit um die Frage, welche Kritik an
der Politik Israels erlaubt ist, ausgebrochen. Der
Streit ist inzwischen vor allem in Gestalt einer
Auseinandersetzung zwischen dem FDP-Politiker
Jürgen Möllemann und dem stellvertretenden
Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in
Deutschland, Michel Friedman, eskaliert. Die
Frage, die derzeit in Deutschland diskutiert wird,
lautet: Darf man Israel kritisieren und wenn ja,
in welchem Maße?
Avnery: Man darf Israel nicht nur kritisieren,
meiner Ansicht nach muß man es sogar tun. Israel
ist ein Staat wie jeder andere, und wir sind ein
Volk wie jedes andere. Wir wollen keine
Sonderrolle. Denn jede Art von Sonderbehandlung
beinhaltet schließlich schon eine Form von
Antisemitismus.

Eine positive Sonderbehandlung jüdischer
Angelegenheiten ist also ein Ausdruck von
Antisemitismus?

Avnery: Natürlich, denn solch eine
Sonderbehandlung geschieht schließlich, weil wir
Juden anders angesehen werden, als andere
Menschen. Das lehne ich ab.

Es gibt allerdings auch Kritik, die nicht mehr
statthaft ist. Wo beginnt also der Antisemitismus
in der Debatte?

Avnery: Die Frage ist, von welchem Standpunkt aus
übt man Kritik. Bejaht man etwa das Existenzrecht
Israels oder zielt die Kritik darauf, dies Israel
abzusprechen. Wenn man sein Land liebt, dann muß
es auch gestattet sein, die Politik seiner
Regierung zu kritisieren.

Antisemitisch wäre demzufolge Kritik, die Israel
als Staat bekämpft?

Avnery: Sie denken da in einem verhängnisvollen
Dualismus. Man sollte nicht zwischen Israel und
Palästina wählen, weil meiner Ansicht nach die
wahren Interessen Israels und Palästinas beinahe
identisch sind: Beide Völker brauchen den Frieden!
Und die große Mehrheit unseres Volkes ist auch
bereit, die besetzten Gebiete zurückzugeben,
Jerusalem zu teilen und einem Palästinenser-Staat
zuzustimmen. Ariel Scharon genießt zwar als Person
das Vertrauen der Mehrheit der Israelis,
gleichzeitig jedoch mißbillgt die Mehrheit die
inhaltlichen Elemente seiner Politik. So gab es
etwa vor wenigen Tagen in Tel Aviv eine
Demonstration mit 70.000 Menschen, die für eine
Rückgabe der besetzten Gebiete votierten.

Ihre Familie ist 1933 aus Deutschland geflohen,
Sie selbst haben als Zehnjähriger die
Stimmungsmache der Nationalsozialisten gegen die
deutschen Juden erlebt. Es gibt also eine "Form
der Kritik", die den Tatbestand des Antisemitismus
erfüllt.

Avnery: Natürlich gibt es auch Antisemitismus,
aber ich warne davor, das mit Kritik an Israel
gleichzusetzten. Dann wären wir, die politischen
Gegner Scharons hier in Israel übrigens auch alle
Antisemiten. Nein, Antisemitismus hat Merkmale,
die klar erkennbar sind, Kritik an Israel zu üben,
gehört allerdings nicht dazu.

Sondern?

Avnery: Antisemitismus ist eine Art
Geisteskrankheit, die man instinktiv erkennt. Wir
alle kennen klassische Beispiele solcher
antisemitischer Propaganda. Außerdem vergessen all
jene, die nur allzu leichtfertig überzogene
Antisemitismus-Vorwürfe austeilen, die Gefahr, daß
dann die wahren Antisemiten unerkennbar werden.


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