Bildungsreform, Deutsch-Leid/-Leit/-light

Divara @, Donnerstag, 02. Oktober 2014, 18:47 (vor 3877 Tagen) @ Oblomow

Ich bin auch dafür, dass wir die Zeiten abschaffen.

"Gestern bin ich in die Stadt gegangen" ist nicht klarer als "Gestern geh ich in die Stadt". Diese andere Vergangenheit, einst Imperfekt, jetzt Präteritum genannt, kennen viele Kinder schon gar nicht mehr: "Gestern gehte ich in die Stadt".

Ohne Futur geht's och auch: "Morgen geh ich in die Stadt".

Weiter vereinfachen wir den Plural. Informationen sind Infos, Gymnasien Gümmis, Universitäten Unis etc. Das ist nicht nur einfacher, es ist auch noch hip.

Dass nach dem Genitiv nun auch der Dativ stirbt("Ich geh mit den Kinder in die Satdt") war abzusehen.


Zur "Ehrenrettung" des Leicht-Deutsch hätte ich noch hinzufügen sollen, dass die vereinfachte Sprache für Behinderte entwickelt wurde. Nur wurde im Laufe des Verfahrens festgestellt, der Kreis der Interessenten werde immer größer. Die Legastheniker, die Halbblinden, die Leseschwachen, dann kamen die besonders effektiv arbeitenden Studenten hinzu. Immerhin ließe sich in kürzester Zeit das Wesentliche mit wenigen Worten 'kommunizieren'.
Das Ausblick: Alles wird immer schneller. Das Weltwissen ist jetzt schon riesig und verdoppelt sich in weenigen Jahren. Was bleibt dem strebsamen Studenten, der alles wissen möchte, vieles wissen muß? In einer Karikatur des 19. Jahrhunderts gab es den Trichter, später die Stenographie und Esperanto. In der Zukunft ist es die vereinfachte (verarmte) Sprache, die sich auch als Fremdsprache leichter lernen läßt. ( Den Wegfall der zahlreichen Artikel (der, die, das etc.) werden nicht nur die English-Muttersprachler begrüßen.)

Sie deuteten schon an, Kollegin Divara, wohin die Entwicklung in der nächsten Rechtschreibreform gehen wird.
Mit Ihrem letzten Beispiel waren Sie viel zu zaghaft, ;-) Wir ollen fortschrittlichen Barliener sagen schon seit mehr als hundert Jahre, wenn wir hochdeutsch reden wollen oder müssen:
"Ich geh mit die Kinder in die Stadt"
Ja, ja, liebe Divara, ich gebe zu: Hierfür braucht man schon einen Abitur-Schein.

Wir können uns damit trösten, die Römer kannten keine Steigbügel, die Sizilianer kein Futur.
Immer schon sagten sie: " Morgen reite ich nach Rom!"

Dennoch haben sie eine außerordentliche Elite hervorgebracht ;-)


Nun ja, ich bin ja auch ziemlich zwiegespalten und will nicht nur zu den Jammerlappen gehören, für die früher alles besser war.
Es gibt zwei Möglichkeiten:

1. Die Rechtschreibung ist erledigt. Die Menschheit wird auch ohne sie überleben, und - siehe Annette von Droste-Hülshoff – trotzdem noch große Werke schaffen.
2. Mit der Rechtschreibung ist es wie mit der Mengenlehre. Sie galt in den 80ern als die ultimative Form der Mathematik. Bis man feststellte, dass man eine ganze Generation von mathematischen Ignoranten geschaffen hatte, die für bestimmte Berufe nicht mehr geeignet waren. Und man hörte nicht mehr auf mit dem Kopfschütteln und schwenkte wieder um.

Was aber überhaupt nicht geht (und das ist Realität in NRW):
Man bringt den Schülern die (Fremd-)Sprache auf einem Niveau bei, das einen zweisemestrigen Volkshochschulkurs nicht wesentlich überschreitet. Vor allem schafft man das Vokabelnlernen komplett ab. Grammatikkenntnisse sind rudimentär.

Dann aber knallt man den Schülern einen Roman vor die Füße und sagt: ihr habt 1 Woche Zeit, den durchzulesen, schreibt eine Zusammenfassung für jedes Kapitel und eine Charakteristik der Hauptpersonen.
Oder: man erschlägt sie mit einem 25-seitigen Fragebogen zu Politik, Kultur, Geschichte, Geographie Frankreichs (Englands, Türkei) und sagt: informiert euch im Internet, ihr habt zwei Wochen Zeit.
Dann klingelt mein Telefon…


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