Bundestagsqual 2013

NN, Dienstag, 27. August 2013, 17:35 (vor 4281 Tagen) @ Divara

Es passiert mir öfter, dass ich von Meinungsforschern angerufen werden, die Wert auf meine Denke legen, und da ein unvermittelbare Hartz IVer in meiner Familie mal im Callcenter eies solchen Instituts gearbeitet hat und ich deshalb Mitleid mit den Callern habe, nehme ich mir auch meistens die Zeit, zu antworten.

Es ist nicht lange her, dass ich von einem Institut kontaktiert wurde, dessen Namen ich vergessen habe, er war mir aber nicht unbekannt. Die Fragen gingen dann etwa so:

Bewerten Sie auf einer Skala von 1 (dagegen) bis 6 (voll und ganz dafür) folgende Aussagen/Fragen:

Sind Sie für umweltfreundliche Energien?
Klar doch, 6.

Sind Sie für die Ausnutzung von Wind- und Sonnenenergie?
Tja, was soll ich dagegen haben? Ich möchte zwar kein Windrad im Garten und keine Sonnenkollektoren auf dem Dach haben, aber danach war ja nicht gefragt.

Soll man mit Energie sparsam umgehen?
Etwa nicht?

Soll Energie bezahlbar bleiben?
Ich habe laut losgelacht.

Und in dem Stil. Die wirklich brenzligen Fragen nach Stilllegung der Atomkraftwerke, nach Kohlekraftwerken und nach Fracking wurden überhaupt nicht gestellt.

Wahrscheinlich gibt es bald eine Veröffentlichung, dass Umfrageergebnisse zeigen, 100% aller Deutschen wollen umweltfreundliche bezahlbare Energie ;-)


Meine Vorbemerkungen implizieren nicht, dass es nicht haufenweise Umfragen von zweifelhaftem oder begrenztem Wert gibt. Die von mir weiter oben zitierte Frage, ob man die D-Mark zurück haben will oder nicht, ist in deinem Sinne allerdings eine brenzlige Frage (die dazu noch schon länger gestellt wird). Und wenn Allensbach sinngemäß nach Vor- und Nachteilen von Europa fragt, dann ist das nicht manipulativ.

Manipulativ ist z.B. die Aussage des linken Ideologen Wilhelm Heitmeyer ("Deutsche Zustände"). Wer "Der Islam hat eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht" verneint (graduelle Antwortmöglichkeiten gab es nicht), der erfüllt einen Indikator für Islamophobie.

Die Möchtegern-Rechtsextremismusforscher Decker und Brähler wiederum haben vor ein paar Jahren in einer von ihren berüchtigten "Mitte"-Studien mal gemessen, dass die Wessis durchschnittlich häufiger rechtsradikal gesinnt sind als die Ossis. Das wunderte damals einige, aber so gut wie niemand kam auf den Gedanken, mal in die öffentlich zugängliche Stichprobe der Studie zu gucken. Sie genügte weitgehend repräsentativen Kriterien (also: unterschiedlichen Alterskohorten, in etwa gleich viel befragte Männer und Frauen, Befragung in unterschiedlichen Regionen, unterschiedliche Schulabschlüsse, unterschiedliche Einkommensklassen). Bis auf eine für das verwunderliche Ergebnis zumindest mit ausschlaggebende Ausnahme: Die Akademiker-Quote in der Stichprobe war für Ostdeutschland deutlich höher als in Westdeutschland bzw. in Westdeutschland deutlich niedriger als in Ostdeutschland.

Wie wir wissen, gibt es auch den einen oder anderen rechtsradikal gesinnten Bildungsbürger. Insgesamt verhält es sich aber so, dass die Quote von mehr oder weniger rechtsradikalen Ansichten innerhalb der Bevölkerung unter Nicht-Akademikern unterhalb des Durchschnittseinkommens viel höher ist.

In ihren folgenden Studien kamen Decker und Brähler dann nicht mehr zu demselben Ergebnis. Stattdessen verlegten sie sich darauf, dass die "Mitte der Gesellschaft" irgendwie "in der Krise" ist und der Rechtsradikalismus folglich aus der "Mitte der Gesellschaft" kommt - ohne dabei auch nur ansatzweise näher zu definieren, was denn die Mitte der Gesellschaft ist. Das ist insoweit verständlich, als die beiden sehr wahrscheinlich nicht in der Lage wären, unter Befragten mit durchschnittlichem Einkommen sowie durchschnittlichem Bildungs- bzw. Ausbildungsgrad eine besonders hohe Quote von rechtsradikalen Ansichten zu messen. Denn dann müssten sie ja ihre starke, liebgewonnene Kernthese revidieren.

Abgesehen davon beruhen die Unzulänglichkeiten vieler Umfragen nicht allein auf mehr oder weniger ausgeprägter Manipulation, sondern häufig auch auf handwerklichem Unvermögen. So bekommen viele kleinere Sozialforschungsinstitute häufig keine repräsentativen Stichproben zusammen, was relativ aufwändig ist. Im besseren Fall wird dann gewichtet. Wer z.B. 1500 Anrufe machen lässt - schließlich machen es die Befrager nicht umsonst - und dabei banalerweise weit überproportional häufig Rentnerinnen und Rentner ans Telefon bekommt, der geht dann hin und gewichtet die Ergebnisse bei den 150 berufstätigen Befragten mittleren Alters, die selbstständig sind oder zufällig frei haben, hoch. Es ist zwar besser das zu machen, aber es ist trotzdem keine gute Stichprobe.

Was wiederum die Beschwerden von AfD-Freunden im Kommentarbereich der FAZ und von Achgut gegen Allensbach so bekloppt macht, ist der Umstand, dass ja ca. ein Drittel der Bevölkerung die DM-Mark gerne zurück hätte. Als ob das kein Wählerpotenzial für die AfD wäre. Aber es darf offenbar nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn sich ein großer Teil der Bevölkerung, trotz Euro-Krise, seit 2002 an den Euro gewöhnt hat, zusätzlich ein Teil der jüngeren Generationen die D-Mark gar nicht richtig lieb haben konnte, weil er zur Zeit der Einführung des Euro noch nicht erwachsen war und daneben ein Teil der älteren Nachkriegsgeneration, in der eine starke emotionale Bindung an die D-Mark hoch war, gestorben ist.


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